Die Familie Willy Brandt (German Edition)
war.
Das Leben schreibt abenteuerliche Geschichten: Matthias Brandt spielt den Spion Günter Guillaume, neben ihm Michael Mendl als Willy Brandt in dem Film »Im Schatten der Macht« (2003)
[picture aliance/dpa]
Ja, und dann war es so weit, und die Hyänen, die wir Kritiker nun einmal sind, mussten das Messerchen, das wir schon fleißig gewetzt hatten, wieder weglegen. Herrje, der Mann macht seine Sache ja richtig gut, da gab es nichts zu meckern. Klar, die Aufregung war groß, »Herr Brandt, ist das nicht eine Art Vatermord, wenn Sie jetzt den Feind Ihres Vaters spielen?«, »Ist das ein Ödipus-Komplex?«, aber das Spiel des Schauspielers war als unabweisbare Größe so sichtbar vorhanden, dass die Entscheidung, ihn als Guillaume zu besetzen, nicht länger als Coup verhandelt, sondern als logische und im Rückblick sogar zwingende Entscheidung begriffen wurde. Und von diesem Augenblick an war das Gesicht des Schauspielers Matthias Brandt ein ganz und gar vertrautes, das in verlässlich-pfiffiger Heinz-Rühmann-Manier wieder und wieder auftauchte und seit einem Jahrzehnt unseren Alltag begleitet.
In den Erinnerungen von Schauspielern gibt es meist ein Erweckungserlebnis, einen magischen Moment, in dem das Kind dem Theater verfällt und beschließt, bewusst oder unbewusst, auch in diesem Kosmos mitspielen zu wollen. An der Hand der Mutter wird die Weihnachtsvorstellung besucht, oder man ist selbst früh eine Figur im Märchenspiel, die Aula der Schule ist bis auf den letzten Platz besetzt, und unten blüht der Stolz auf den Gesichtern der Eltern. Ja, solche Momente gibt es auch im Leben von Matthias Brandt, und wer will, kann sie wie beim Malen nach Zahlen mit dem Stift verbinden, und fertig ist der Mime. Aber der Weg ist krumm, undeutlich, es führt keine gerade Linie von Dornröschen zu Günter Guillaume.
Am 19. November 1972 spielt Matthias Brandt in der Aula des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums in dem Märchen »Dornröschen« den König. Es ist eine Aufführung des Bonner Kindertheater Ur-Vereins. Fotografen und Kamerateams sind reichlich zugegen, denn im Parkett sitzen der Kanzler und seine Frau. Es ist der Tag der vorgezogenen Bundestagswahl, die nach dem gescheiterten Misstrauensvotum notwendig geworden war, weil die bröckelnde SPD/FDP-Koalition keine ausreichenden Mehrheiten mehr organisieren konnte. Im Publikum sitzt der Schauspieler und Regisseur Peter Meinhardt, der seit 1970 am Theater der Stadt Bonn Weihnachtsstücke inszeniert. Er erinnert sich an eine Aufführung, in der Rut Brandt ihn sprechen und ihm zu der gelungenen Inszenierung, die ihrem Sohn viel Freude bereitet hatte, gratulieren wollte. An ihrer Hand hing ein schmaler Junge, der unter seinem fransigen Pony nach oben linste. »Matthias schien mir in diesem Augenblick das bestbewachte Kind der Welt zu sein«, berichtet Peter Meinhardt, der bereits vor dem Treffen von den Leibwächtern kontaktiert worden war. Jetzt sitzt er inmitten des »Dornröschen«-Publikums, knapp hinter dem Kanzler, und verfolgt das Spiel der Kinder. »Nein, nein«, wehrt er ab, »von schauspielerischem Talent war da nichts zu entdecken. Matthias feixte die ganze Zeit, aber außer der Freude, auf der Bühne zu sein und eine glänzende Krone zu tragen, sah man nichts. Er war ein Kind, kein Schauspieler, das war natürliche Spielfreude. Sein Vater hat sich amüsiert.« An diesem Abend war Peter Meinhardt nur ein Zuschauer unter vielen, der in dieser Geschichte auch nicht wieder auftauchen würde, wenn sich die beiden nicht 1982 in Hannover erneut begegnen würden. Dort ist Peter Meinhardt, Jahrgang 1942, mittlerweile Dozent an der Hochschule für Musik, Theater und Medien geworden, wo Matthias Brandt von 1982 bis 1986 seine Schauspielausbildung absolviert. Aber zwischen der Dornröschen-Aufführung und dem Studienbeginn liegen zehn Jahre. Wo auf dieser Strecke bildete sich der Wunsch, fremde Leben zum Leben zu erwecken?
Matthias Brandt als König in dem Märchenstück »Dornröschen« am 19. November 1972 in Bonn
[Sybille Ahlers/privat]
In seinen acht Jahren auf dem Venusberg, in den acht Jahren, in denen sein Vater zunächst Außenminister und dann Bundeskanzler ist, wird Matthias zum Medienkind. Da Peter in Berlin geblieben ist und studiert und Lars sich nur widerstrebend der politisch-journalistischen Observation fügt – immer häufiger lehnt er diesbezügliche Anfragen ab, immer seltener lässt er sich für Reportagen oder Homestorys gewinnen, in denen ein
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