Die Familie Willy Brandt (German Edition)
ausschüttete vor Lachen. Er lachte nicht oft, und er lachte auch nicht laut oder übertrieben, sondern er schmunzelte. Bei den Proben zeigte er keinen übertriebenen Ehrgeiz, eher Understatement, er war bei seinen Mitschülern sehr beliebt, weil er einen guten Humor besaß. Und Matthias war ein guter Teamer, der wollte nicht hervorstechen.«
Matthias Brandt in der Theater-AG des Nicolaus-Cusanus-Gymnasiums, Bonn 1980
[Matthias Brandt/privat]
Am 18. September 1980 feiert die Inszenierung von »Vom Soldaten, der Schauspieler wurde« in der Aula des Gymnasiums Premiere. Der Eintritt beträgt 2 beziehungsweise 4 Mark. Matthias Brandt spielte in diesem antimilitaristischen, pazifistischen Stück von John Arden den Clown einer Wandertheatertruppe, der überlegt, wie er den Zauberer Merlin spielt: »Ich will Ihnen was sagen: Ich werde ihn schon hinkriegen. Ich mache da so einen zerstreuten Professor-Typ draus – immer klappt es nicht mit seinen Zaubersprüchen, und immer verliert er seine Brille, auf diese Art.« Matthias Brandt hat keine ausgeprägte Erinnerung an diese Inszenierung. Warum nicht? Als ich ihm ein Foto zeige, das seine Lehrerin mir zur Verfügung gestellt hat, der spindeldürre Gymnasiast sitzt in der Maske und wird gerade zum Clown verwandelt, ist er aufrichtig verblüfft, wie sehr die Situation auf dem Foto seinem heutigen Berufsalltag ähnelt. »Alles schon da!«, sagt er knapp.
Tatsächlich hat er in zahlreichen Interviews zu seinem Lebensweg die Theater-AG nie erwähnt, bisweilen sogar erzählt, er habe auf der Schule nie Theater gespielt. Matthias Brandt hat seinen Weg zum Schauspieler in der Öffentlichkeit immer folgendermaßen skizziert: Er wisse selbst nicht genau, woher dieser mimetische Impuls stamme, jedoch habe er sich diesen Wunsch selbst angeeignet, habe allein in seinem Zimmer und ohne dass es jemand mitbekam, Rollen einstudiert, ja, er habe sich eine Decke über den Kopf gezogen und seinen Text geflüstert, damit niemand auf ihn aufmerksam wurde.
Es gibt keinen Grund, an dieser Geschichte zu zweifeln.
Warum zieht einer die Decke über den Kopf, der sich einem Publikum zeigen will? Warum verhüllt sich einer, der doch auf die Bretter will, die die Welt bedeuten, und warum beginnt einer zu flüstern, dessen Stimme man doch noch in der letzten Reihe des Parketts vernehmen soll? Als Matthias sich entschloss, Schauspieler zu werden, war Peter bereits promovierter Historiker, und Lars Brandt studierte beflissen Politikwissenschaft. Kanzler-Söhne wurden bis dahin Rechtsanwälte, Unternehmer, sie wurden was Ordentliches, was Bürgerliches, einen schauspielernden Kanzlersohn hatte es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben, und dass die Söhne von Helmut Kohl bei ihrem Vater kaum Gegenliebe gefunden hätten, wenn sie sich zu einer »theatralischen Sendung« bekannt hätten, leuchtet jedem ein, der die Familienbilder der Kohls vor Augen hat. Matthias Brandt nahm mit diesem Berufswunsch also durchaus eine ebenso exotische wie exponierte Stellung ein. Übrigens hatte das »Nesthäkchen« gerade begonnen, den »klassischen« Weg eines Kanzlersohnes einzuschlagen und sich nach dem Abitur in Bonn für Jura immatrikuliert, doch die Materie ließ ihn kalt.
Als mir Matthias Brandt erzählte, wie er sich für die Aufnahmeprüfung vorbereitet hatte, flüsternd, sich einigelnd, sich duckend, hatte ich die Szene – ohne weiter nachzudenken – immer auf dem Venusberg angesiedelt, in der Kanzlervilla, sie schien da irgendwie hinzugehören in diese merkwürdige Aura aus Macht und Ohnmacht, Verkapselung, Stille, Leben, Trubel und gestautem Gefühl. Doch tatsächlich spielte sich die Szene in der Wohnung ab, in die Matthias mit seiner Mutter nach der Trennung der Eltern zog, eine schöne Altbauwohnung in der Bonner Südstadt. Die Wohnung war zwar geräumig, aber doch bot sie nicht mehr diese Fluchten, Winkel und Rückzugsorte wie die Kanzlervilla, und hier lebte Mathias allein, mit seiner Mutter. Verbarg sich der Sohn vor seiner Mutter? Matthias ist bestimmt der Sohn, zu der Rut Brandt das innigste Verhältnis aufbaute. Sie brachte ihn in einer sehr krisenhaften Phase ihres Lebens zur Welt. Ein Wendepunkt. Sie sagte mit ihm noch einmal ganzen Herzens »Ja« zur Familie und ihrem Mann, sie schöpfte neue Hoffnung, ja, sie ließ sich mit dem neuen Kind auch noch einmal mehr auf die Bundesrepublik ein, sie machte sich dieses Land, das ihr in Peters und Lars Jugend noch sehr fremd gewesen war und das
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