Die Familie Willy Brandt (German Edition)
repräsentatives Familienidyll inszeniert wird –, muss Matthias die Rolle des Kanzlersohnes ausfüllen. Bevor die Brandts nach Bonn zogen, waren es Peter und Lars, die den Bild- und Imagedienst versehen mussten, weil man sie medial hofierte oder ihnen nachstellte und zum Teil, weil es sich die SPD-Strategen wünschten. Doch diesem privat-politischen Bilderrahmen waren sie nun entwachsen, und nach ihrer Mitwirkung in »Katz und Maus« (1966) drängte es beide nicht, diesen Weg fortzusetzen. Matthias ist fünf, als er für die Medien und die Öffentlichkeit zum Politikerkinddarsteller wird, und er ist 13, als man ihn von diesem Amt vorläufig entbindet. Die kindliche Unbefangenheit mag zunächst dominiert haben, aber der aufgeweckte Junge wird im Lauf der Jahre beginnen, seine Rolle zu bedenken. Wo geht da ein Riss durch mich hindurch, wo ist der, der da für die Kameras lacht, ein anderer als der, der lieber woanders wäre, in seinem Zimmer, mit dem Freund im Garten oder auf dem Fußballplatz? Heli Ihlefeld schreibt in ihrem Buchprojekt über Rut Brandt 1970 über Matthias: »Der einzige der drei Brandt-Söhne, der es genießt, im Scheinwerferlicht zu stehen, ist Nesthäkchen Matthias. Er hat gerne Publikum und fragt nicht lange, aus welchen Motiven man sich für ihn interessiert. Er posiert freiwillig vor den Kameras, um die seine Brüder einen weiten Weg machen.« Das klingt so, als habe man es mit einem Kind zu tun, das die Aufmerksamkeit anderer, auch der von Fremden nicht scheut, sondern eher noch sucht. Ist das eine Spiel- und Darstellungsspur?
So sehr das Kind also bisweilen in den Blickpunkt drängt, Aufmerksamkeit bündelt, so sehr gewöhnt es sich daran, am Rand zu stehen, zuzusehen, wie der Vater eine Rolle ausfüllt, ins rechte Licht gerückt wird und im häuslichen Raum ein Stück aufführt mit dem Titel »Der Bundeskanzler regiert, empfängt Gäste und zieht das Kanzler-Kostüm wieder aus, wenn alle gegangen sind und die Familie ihn als Vater und Ehemann sucht«. Muss schwer gewesen sein, einer für alle und einer wie alle zu sein. Schließt sich eigentlich aus. Da blieben dem Kind, dem Jugendlichen sicher die Risse zwischen den vielfältigen Existenzen des Vaters nicht verborgen. Maria Ehmke, damals eine der Freundinnen von Rut und häufiger Gast bei den Brandts, erinnert sich an ein aufmerksames Kind: »Mattchen saß meistens auf der Treppe und beobachtete alles.« Diese Beobachtung korrespondiert mit einer Schilderung, die Matthias Brandt selbst dem Kind widmet, das er einmal war. Im Jahr 2005 kommt der Dokumentarfilm »Schattenväter« in die Kinos, in dem die Lebensläufe von Matthias Brandt und Pierre Guillaume parallelisiert werden. Für die Dreharbeiten besucht das Filmteam auch die Villa auf dem Venusberg, wo Matthias Brandt einen gewichtigen Teil seiner Kindheit verbrachte. Das Haus steht leer, steht zum Verkauf bereit, und der Schnee, der fällt, verstärkt die Atmosphäre von unwiderruflich vergangener Kindheit. Melancholie tropft von den kahlen Wänden. Matthias Brandt bleibt von dieser Stimmung nicht unberührt, er streift durch Garten und Haus und versucht, das Vergangene aufscheinen zu lassen. Im Treppenhaus hockt er sich hinter einen braunen Vorhang, blickt auf den leeren Vorplatz hinaus und rekonstruiert seinen Platz im Kanzler-und-Kind-Gemälde: »Man konnte hier (er setzt sich auf die Fensterbank, duckt sich in die Ecke) durchs Fenster gucken, wer da so kommt. Da fuhren die mit ihren Autos vor, da vor dem Eingang, man guckte, wer aussteigt, da unten (er zeigt abwärts durchs Treppenhaus) kamen die rein, und dann konnte man sich ziemlich gut hierhin setzen (er wechselt die Beobachterposition, rutscht auf die Stufen), wo die einen nicht sehen konnten, wenn die da rumliefen, konnte sie aber selber ganz gut sehen. Das habe ich, glaube ich, oft gemacht.«
Muss dem Kind diese Welt aus Politik, Leibwächtern, Fotografen, Kameraleuten, hohen Gästen, ernsten Gesprächen, aus Amt und Würden, aus Kulissen von Diplomatie und Konflikt nicht wie ein rätselhafter Zirkus erscheinen? Für die Dokumentation »Einige Tage im Leben des Willy Brandt« von Matthias Walden wird 1967 auch in der Villa auf dem Venusberg gedreht. Eine häusliche Szene bitte schön, Herr Brandt! Was haben Sie da anzubieten? Brandt spielt mit Rut und Matthias Memory. Der ganze Tisch ist bedeckt mit Kärtchen. Rut spielt Normalität. Willy wuchtig, schwer im Sessel, spielt Memory, als ob er verdrossen einen Brief von
Weitere Kostenlose Bücher