Die Familie Willy Brandt (German Edition)
einleuchtender. Zunächst einmal muss es für einen Schauspieler eine irrwitzig reizvolle Konstellation sein, in ein Projekt einzusteigen, in dem ein nicht unwesentlicher Teil der eigenen Vergangenheit verhandelt wird. Matthias Brandt, der es sich vor den Dreharbeiten ausbedungen hatte, dass man ihn während der Arbeit nicht als Kronzeuge der Wahrhaftigkeit angehen solle, schaute neugierig zu, wie sein eigenes Jugendzimmer entworfen und gebaut wurde, und war verblüfft, wie nah die Ausstatter diesem Raum kamen. In der Beschäftigung mit dem historischen Stoff, der historischen Figur Guillaume und ihrem Dialog mit dem Vater bot sich auch die Chance, dessen Vergangenheiten nachzuspüren. Für das Kind Matthias Brandt musste dieser Vater in vielen seiner Verhaltensweisen unverständlich bleiben, der erwachsene Schauspieler jedoch konnte daran teilhaben, wie sich ein ganzes Team um die Psyche dieses Mannes bemühte und versuchte, zwischen der historischen Welt und der Innenwelt des Protagonisten zu vermitteln. Darin lag auch die Möglichkeit für den Sohn, den eigenen Vater aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Perspektive des Sohnes abzustreifen. Das ist kaum ein therapeutischer Prozess, sondern erst mal ein artistisches Projekt, eine handwerkliche Herausforderung. Will man dennoch psychologische Kategorien bemühen, dann möchte ich eine andere Betrachtung vorschlagen. Mir kommt es vor, als habe Matthias Brandt mit dieser Rolle eine große Unabhängigkeit gewagt und gezeigt. Ihm war klar, dass seine Entscheidung, den Guillaume zu spielen, viel Unverständnis und Unmut auslösen würde. Sich prospektiv darüber hinwegzusetzen, war mutig. Und sicher hat der Schauspieler, der immer lustloser seinen Theaterdienst tat, eine Chance gesehen, sich zu verändern.
Will man diese Rolle jedoch unbedingt an den Vater adressieren, drängt sich mir ein anderes Signal auf. Hier zeigt der Sohn dem Vater, was er kann, nämlich das, was ein guter Schauspieler können sollte, eine schwierige, widerspruchsvolle Figur zum Leben erwecken. Damit spielt er sich in aller Öffentlichkeit frei, denn diese Rolle hat ihm niemand aufgezwungen, die musste er sich selbst erstreiten. Zugleich aber lieferte er sich so dem Verdacht aus, sich noch einmal als Sohn von der Prominenz des Vaters nähren zu wollen. Sich darüber hinwegzusetzen und darauf zu vertrauen, dass man die kritische Öffentlichkeit durch die eigene Kunst und Person überzeugt, demonstriert Entschlossenheit und ein Vater-Sohn-Verhältnis, das bereits in die Entspannungsphase getreten ist. Hätte Matthias Brandt nicht bereits vorher ein gerütteltes Maß an innerer Freiheit besessen, hätte er diese Rolle nicht als Chance, sondern vielmehr als Falle begreifen müssen, denn wäre das Experiment missglückt, hätte ihn die Häme als ewigen Sohn qualifiziert. Dass Matthias Brandt als Schauspieler heute nicht dort stünde, wo er steht, hätte es diese Rolle und das Vertrauen von Oliver Storz nicht gegeben, weiß er selbst und sagt es auch. Ich begreife diese Rolle daher auch eher als Vaterliebesbeweis, denn hier stellt sich einer hin und zeigt sich dem Publikum, das nur den Vater kennt, das im Zweifelsfall durch dessen Augen sieht und sich zum Anwalt des Verstorbenen macht – Mein Sohn, warum tust du mir das an? –, als ernsthafter Künstler, der durch sein Handwerk jedes vordergründige Rachemotiv beiseitesetzt und die Interpretation der Rolle von aller Privatmythologie befreit. Weniger nachtragend kann ein Sohn gegenüber dem Vater kaum sein.
Ob Matthias Brandt es bedauert, dass er seinen Vater damals in Oldenburg bat, nicht wieder als Zuschauer zu kommen? Ich weiß es nicht, und ich will ihn das hier auch nicht mehr fragen.
Memorabilia
Nico Lumma erinnert sich
»Willy Brandt war für die Genossen-Generation meiner Eltern, und auch für meine Eltern, so eine Art Übervater, der große Parteivorsitzende. Ich kann mich noch gut an das Strahlen in den Augen meiner Mutter Mitte der Achtziger erinnern, als sie vom Bundesparteitag der SPD zurückkam und erzählte, dass Brandt an ihr vorbeigegangen war und »Na, mien Deern!« zu ihr gesagt hatte. Bei uns in der Studi-WG in Göttingen hing lange das Plakat mit Willy Brandt, inklusive Fluppe und Mandoline.«
Lunge
Der deutsche Lungentag findet am 30. Juni 2012 auf dem Willy- Brandt-Platz in Essen statt. Essener Pneumologen bitten dort am Samstag zur »Lungenolympiade«. Von 10 bis 15 Uhr werden Vorträge, Gesprächsrunden
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