Die Familie Willy Brandt (German Edition)
habt?« Sie sind immer noch erstarrt, zwei verkrümeln sich zur Seite. Der Blow-Jobber trägt ein blaues Superman-T-Shirt.
»Wisst ihr eigentlich, wer das ist?«
Superman linst auf die Inschrift.
»Klar, steht doch dran!«
Die »Nürnberger Zeitung« schreibt am 10. April 2013: »Die bronzene Figur hat bereits kurz nach der Aufstellung jede Menge Freunde gefunden, ein Kanzler zum Streicheln und zum Gernhaben. Viele Passanten nehmen neben ihm Platz, einige legen immer wieder mal die Arme um seine Schultern, lassen sich mit ihm fotografieren. Auch eine rote Rose hat hier ein Passant schon mal abgelegt.«
Paps [3]
Vater werden ist nicht schwer,
Vater sein dagegen sehr.
Solches hat auch Willy Brandt
im Familienkreis erkannt.
Denn zwei Söhne, welche Lust,
wohnen, ach, in seiner Brust,
hier ein rechter Sonnenschein,
dort ein linker Pflasterstein.
Lobt der eine Papis Weste,
freut sich: Vati ist der Beste –
zwickt der andere renitent
Vater samt Establishment.
Lola findet’s demokratisch
und ihm ist es sehr sympathisch,
dass ein Bonner, der so groß ist,
en famille merkt, was so los ist.
Friday on my mind
Der Gitarrist erinnert sich nicht mehr genau. War es der Bundespresseball? Oder war es ein Fest der sozialdemokratischen Wählerinitiative? Auf jeden Fall Bonn, auf jeden Fall 1972, Willy-Euphorie. In dem großen Saal spielen sie behäbige Tanzmusik, in dem kleineren Saal spielt »The Fashion«, sie covern zeitgenössische Pop-Musik. Da tritt Rut Brandt an den Gitarristen heran und fragt ihn, ob sie denn auch »Friday on my mind« von den Easybeats spielen könnten. Der Gitarrist nickt und Rut Brandt tanzt.
Monday morning feels so bad!
Everybody seems to nag me
Come on Tuesday I feel better
Even my old man looks good
Wednesday just won’t go
Thursday goes too slow
I’ve got Friday on my mind
We deeply regret
Zum fünfundsechzigsten Geburtstag ihres Mannes hatte Rut Brandt Joan Baez und Pete Seeger eingeladen. Beide sagen ab und bedauern zutiefst, aus terminlichen Gründen der Einladung nicht Folge leisten zu können.
Kaiser von Deutschland
Mit acht wollte Peter Brandt Kaiser von Deutschland werden.
Mit zehn war er immer noch ein leidenschaftlicher Monarchist.
Mit elf trifft er im Urlaub den Wittelsbacher Prinzen Konstantin von Bayern.
»Hab ick det richtig mitgekriegt, Sie sind ein Prinz von Bayern?«
»Ja!«
»Möchten Sie nicht gerne König werden?«
Gelächter.
Einige Jahre später hängt ein Napoleon-Poster in Peter Brandts Zimmer. Er bewundert den Vollender der Revolution.
Schließlich muss der Kaiser der Arbeiterklasse weichen und Peter Brandt wird Trotzkist.
Unter Schülern
Am 7. Juli 1959 ist der Regierende Bürgermeister von Berlin in der Ernst-Reuter-Schule im Wedding zu einem Schulklassengespräch eingeladen. RIAS hat einen Aufnahmewagen geschickt.
Willy Brandt: »Fernsehen ist eine Geschichte, die immer mehr um sich greift, es ist auch interessant, sich das ein oder andere anzusehen, aber ich war nicht davon überzeugt, dass vor allem kleinere Kinder unbedingt einen Vorteil davon haben, wenn sie den ganzen Nachmittag und Abend vor dem Fernsehapparat sitzen. Ich hatte bis dahin noch keinen entdecken können, den man abschließen kann, das wäre eine besonders nützliche Sache, ein Schloss, ein Schlüssel, der gut verwahrt wird. Inzwischen haben wir einen Fernsehapparat.«
Schüler: »Mit Schlüssel?« (Großes Gelächter)
Willy Brandt: »Nein, ohne Schlüssel.« (lacht)
Schüler: »Sie sprachen gerade von Ihren Kindern. Da möchte ich Sie fragen, ob Sie die eigenhändig verhauen oder ob Sie das Ihrer Gattin überlassen?« (Großes Gelächter)
Willy Brandt: »Weder noch! Es geht auch ohne!«
Der Zahn der Zeit
Das Willy-Brandt-Forum in Unkel ist ein Museum. Früher war in dem Gebäude eine Sparkasse untergebracht, wovon noch ein EC-Automat zeugt, der im Vorraum verblieben ist. Das Museum beherbergt verschiedene Aura-Stücke, etwa den Mantel der Geschichte. Steif und glatt steht er da im ehemaligen Tresorraum der Bank, Freiheitsmantel hinter Gittern. Brandt trug diesen Mantel am 11. November nach der Maueröffnung am Brandenburger Tor. Auch das komplette Arbeitszimmer Brandts findet sich hier, sein Schreibtisch, seine Bücherwand. Aber da ist noch etwas, ein kleines Stück Alltag. Im Schließfach 351 liegt eine Schere. Auf dem Täfelchen lesen wir: »Mit dieser Schere schnitt Irene Schädlich Willy Brandt in ihrem Friseursalon die Haare. Die Karte
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