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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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durch die Jahrzehnte eine ganz andere Bindung aufgebaut, einen ganz anderen Begegnungsrhythmus mit ihm gehabt. Seit Anfang der fünfziger Jahre ist sie in den Sommerferien stets im Marinesteig zu Gast und bleibt vier oder fünf Wochen. Carlota Thorkildssen findet zu einem pragmatischen, freundschaftlichen Verhältnis mit Rut Brandt, beiden Frauen liegt es am Herzen, dass Ninja einen lebendigen Kontakt zu ihrem Vater pflegt. Rut, die sich immer eine Tochter gewünscht hat, nimmt sie überdies wie ein eigenes Kind an, die kleine Norwegerin an ihrer Seite verkörpert außerdem ein Stück Heimat in Berlin. Von dem Politiker Brandt bekommt Ninja wenig mit, und Berlin weiß kaum von ihr. Als sie ihren Vater Anfang der sechziger Jahre einmal zu einem Empfang während der Berliner Filmfestspiele begleitet, tuschelt die Festgesellschaft neugierig, wer denn die junge, hübsche Frau an der Seite des Bürgermeisters sei und wo sich eigentlich seine Frau befinde. Brandt amüsiert sich und sagt einem Bekannten: »Die sollen sich ruhig wundern. Wenn Sie Auskunft geben müssen, sagen Sie wahrheitsgemäß, ich hätte eine gute Freundin meiner Frau ausgeführt.«

    Wir sitzen im Esszimmer. Ninja hat eine Kiste mit alten Briefen und einige Fotoalben hervorgesucht. Der berühmte Vater hat nie eine drückende Gravitation für sie entwickelt, hier in Norwegen war er ein anderer Mensch, und all die Schlagzeilen, die öffentlichen Fehden und Angriffe hat sie nur aus großer Distanz miterlebt. Wenn sie einmal etwas in den norwegischen Zeitungen über ihn las, dann war das fast immer zustimmend, denn hier fehlten die Feinde. Für Brandt war Norwegen Freundesland, sein »zweites Vaterland«, wie der Historiker Einhart Lorenz schrieb, er schlüpfte, norwegisch sprechend, in eine andere Haut, wirkte freier, gelöster. Das Land hatte ihn gebildet, erzogen, es hatte aus ihm einen sanften Mann gemacht und ihn radikale Phrasen und aggressive Parolen ablegen lassen. Er suchte den Konsens, suchte Zustimmung, keine Unterwerfung, suchte den Dialog, baute Brücken. An diesem ganz anderen Politikstil, einer sanften Bestimmtheit, verzweifelten dann die eigenen Parteifreunde, die straffere Führung verlangten. Etwas von dieser dialogischen Sanftheit findet man im Wesen seiner Tochter, die im Gespräch keine harten Urteile über Menschen fällt, sondern versucht, jeden in seiner Zeit und seinem Möglichkeitsraum zu sehen.
    Ich spreche kein Norwegisch, aber die Sprache klingt nicht völlig fremd für jemanden, der in einer Gegend aufwuchs, wo noch viel Plattdeutsch gesprochen wurde. Das eine oder andere Wort, den einen oder anderen kurzen Satz verstehe ich. So blicke ich auf die Briefe von Willy Brandt, die Ninja nun zur Hand nimmt und in Auszügen übersetzt. Am 22. August 1948 schreibt ihr Vater an Carlota: »Wenn es um praktische Fragen geht, habe ich, wie Du weißt, bereits früher gesagt, dass ich alles tun möchte, um dazu beizutragen, dass Ninja eine einigermaßen gute Jugend hat und eine ordentliche Ausbildung erhält. Nichts wird verhindern können, dass sie mir besonders nahe steht, auch wenn es einen verhältnismäßig großen geographischen Abstand zwischen uns gibt. [ … ] Vergiss bitte nicht, Bilder von Ninja zu schicken.« Der Briefwechsel zwischen Ninja und ihrem Vater wird sich in der nächsten Generation in ähnlicher Konstellation wiederholen. Als Peter Brandt und seine Frau Gabriele auseinandergehen, unterhalten Vater und Tochter Karoline eine ähnliche Botschaftsbrücke auf Papier.
    Im Januar 1948 hatte Willy Brandt seine neue Stelle als Berliner Vertreter des SPD-Vorstands angetreten. Er versucht, seiner Tochter den Umzug und Berufswechsel anschaulich zu machen und sich in ihren Verstehenshorizont einzufühlen. Am 11. Februar 1948 schreibt er nach Oslo: »Liebes Ninjachen, [ … ] Wie ich Dir schon vor Weihnachten in einem Brief erzählt habe, habe ich mit einer neuen Arbeit begonnen. Das hat einen Umzug und viel Mühe mit sich gebracht. Ich wohne jetzt in einem schönen, kleinen Haus. Es liegt an einem See, der Haalensee heißt. Es ist tatsächlich in der Mitte der Stadt, aber doch auch ein bisschen ländlich. Nur wenige Minuten entfernt liegt ein großer Wald, der Grunewald heißt. Mein Büro ist im selben Haus, und ich habe furchtbar viel zu schaffen. Ich bin sehr froh, dass ihr endlich ein eigenes Dach über dem Kopf gefunden habt, und ich hoffe, dass Du Dich in Eurem neuen Haus wohlfühlst. Schön, dass Dein Weg zur Schule nicht

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