Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Mit vielen Grüßen und einem Kuss von Deinem Papa.«
Ninja schmollt und Vater Brandt raucht, Sommer 1946.
[Ninja Frahm/privat]
Unmittelbar nachdem sich Willy Brandt von Carlota getrennt hatte, wollte diese keinen Kontakt zu Rut, doch einige Jahre später entspannt sich das Verhältnis zwischen den Frauen, und Carlota schreibt 1948: »Und wenn es nun so gehen musste, dass Ninja eine ›Stiefmutter‹ haben sollte, so war mir niemand lieber als Du.« Willy Brandt schreibt im August 1948 an seine Ex-Frau: »Liebe Carlota, [ … ] Vielen Dank für das, was Du über Rut und mich geschrieben hast. Der Nachwuchs steht uns jetzt bald ins Haus. Um formellen Schwierigkeiten zu entkommen, planen wir auch, zum Standesamt zu gehen. Elsa hat angedeutet, dass Du Ninja schon erzählt hättest, dass sie einen kleinen Halbbruder oder -Schwester bekommen wird. Wenn ich nach Oslo komme, muss ich wohl selbst mit ihr über das ganze ›Problem‹ reden. Ich hoffe, sie wird nicht ungnädig sein. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich meinem Vater ein paar Wahrheiten sagen müssen. Aber ich hätte dann auch wohl darauf vorbereitet sein müssen, dass er geantwortet hätte: hier stehe ich und kann nicht anders.« Ninja Frahm kann sich nicht an dieses »Problemgespräch« erinnern, aber sie hat ihren Halbbruder Peter offenbar so liebevoll ins Herz geschlossen und in den Arm genommen, wie es auf zahlreichen Fotos, die sie zeigt, überliefert ist. Und auch Rut, die sich immer eine Tochter gewünscht hatte, nimmt sich, wie sie in »Freundesland« bekennt, ihrer Stieftochter herzlich an: »Und Ninja liebte – und liebe – ich, als wäre sie mein eigenes Kind.«
Das Jahr 1948 ist ein Entscheidungs-, ein Begründungsjahr für die Familie Brandt.
Rut und Willy Brandt entscheiden sich füreinander.
Er entscheidet sich für eine Karriere in der SPD.
Er entscheidet sich für Berlin.
Sie entscheidet sich, ihm zu folgen.
Er entscheidet sich für Deutschland.
Beide entscheiden sich, eine Familie zu gründen.
Beide entscheiden sich, neu anzufangen.
Sie trauen sich.
Ninja
Wir trafen uns vor dem Nationaltheater in Oslo.
Es war ein sonniger Tag im September, die nächsten Tage brachten Regen und steifen Wind.
Ich warte vor dem Haupteingang, wo die Statuen der Nationaldichter Henrik Ibsen und Bjørnstjerne Bjørnson stehen. Schwer und würdevoll schauen sie in die Ferne. Kurz nachdem deutsche Truppen das neutrale Norwegen angegriffen hatten, verwandelte die Wehrmacht das Nationaltheater kurzerhand in eine Kaserne.
Der Platz vor dem Theater ist ein beliebter Treffpunkt. Hier haben sich schon Willy Brandt und Carlota Thorkildssen getroffen, später trafen sich hier Willy Brandt und Rut Bergaust. Jetzt warte ich auf Ninja Frahm, das älteste Kind Willy Brandts. »Ja, da sind Sie!« Ich drehe mich um, sie steht vor mir. Fester Händedruck. Warme braune Augen. Sie trägt einen leichten Herbstmantel, die Haare sind kurz geschnitten, sie vermittelt sofort das Gefühl, willkommen zu sein, und vertreibt so meine Beklommenheit. Ich bin ein Kind des 20. Jahrhunderts, ein Sohn deutscher Geschichte. Mir fällt es schwer, gerade jene Länder zu besuchen, die von meinen gepanzerten Vorvätern überfallen wurden. Schamgepäck.
Wir steigen in die U-Bahn und fahren kaum eine Viertelstunde in Richtung Østerås, steigen an der Haltestelle Ekraveien aus. Norwegen ist ein reiches Land, die Handy-Dichte scheint höher als in Deutschland, die Jugendlichen sehen bisweilen aus wie Statussymbole, gut gekleidet, Logos blinken, fast alle wischen über ihre Smartphones. Es geht leicht bergauf, eine sanfte Hügellandschaft, in der Ferne sieht man den berühmten Holmenkollbakken, die Schanze streckt ihren Hals wie ein Dinosaurier über die Wälder. Die typischen skandinavischen Holzhäuser sehen aus wie hingetupft, ockerfarben, dunkelgrün, beige, rot, es fehlt ihnen die lastende Schwere, die steinerne Abwehr. Urlaubslandschaft. Ninja Frahms Haus ist karmesinrot, Birken, Fichten und Apfelbäume kleiden es ein.
Eine Katze streift ums Haus.
Montag, Dienstag, Mittwoch. Wir sprechen drei Tage. Ninja Frahm spricht gut Deutsch, sie hat es früh gelernt. Mit neun Jahren reiste sie das erste Mal nach Berlin und besuchte den Vater. Nein, sie besitzt keine zusammenhängenden Erinnerungen an die Zeit, als ihre Eltern noch zusammenlebten, sie war vier Jahre alt, als ihr Vater Carlota Thorkildssen verließ. Nur die Bilder in ihrem Album erzählen von jenen Jahren. Das
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