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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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»wurde unser Schicksal besiegelt bei einem Abendessen bei Ria Maternus«.
    Erst drei Jahre später, das Paar lebt in Kopenhagen, vertraut Niels, der Gefühle nur schwer mit anderen teilen kann, Rut an, was ihm in der Zeit des Nationalsozialismus angetan wurde. Er hatte als geheimer Kurier im dänischen Widerstand gearbeitet und war im August 1944 von der Gestapo verhaftet worden. Tagelang wurde er in deren Hauptquartier gefoltert, er solle sein Wissen, seine Kontakte preisgeben. Er weigerte sich, schließlich teilte man ihm mit, er sei zum Tode verurteilt und solle besser einen Abschiedsbrief an die Eltern verfassen. Rut Brandt hat in bewegender Weise beschrieben, welcher psychischen Marter sich der zwanzigjährige junge Mann in diesem Augenblick ausgesetzt fühlen musste: »Ihm blieben noch zwei Tage und zwei Nächte. Er suchte den Trost des Häftlings in der Nachbarzelle, mit dem er sich öfter über Klopfsignale mit dem Morsealphabet verständigte: einmal für Punkt, zweimal für Strich. Am letzten Tag schwankte die Stimmung zwischen hell und dunkel. Er versuchte, sich fröhlich zu singen. Er memorierte eine kleine Rede, die er an das Exekutionskommando richten wollte, verwarf sie aber wieder. Am Mittwochabend konnte er nur schwer einschlafen, doch er wachte am Donnerstagmorgen erst um sechs Uhr auf, als die Wärter an alle Türen klopften. Das bedeutete, dass an diesem Tag keine Hinrichtungen mehr stattfinden würden, denn diese wurden stets vor Tagesanbruch durchgeführt.« Niels Nørlund war ein Gentleman, stets aufmerksam und adrett, der Rut das Gefühl gab, so wie sie sei, sei sie gerade richtig und schön, nicht nur für ihn oder erst durch ihn, nein, sie sei wunderbar aus eigenem Recht und für alle. Und Rut genoss das Gefühl ungeteilter, stets frisch sprudelnder Aufmerksamkeit. Das Paar reiste viel, und erst an seiner Seite lernte Rut Brandt Deutschland so richtig kennen. Sie pendelten zwischen Hamar und Bornheim und entfalteten ihre Talente, das Leben zu genießen.
    Der achtzigste Geburtstag von Rut Brandt wurde am 10. Januar in Berlin-Mitte in dem Lokal »Ständige Vertretung« gefeiert. Nachdem Peter Brandt den Reigen der Festredner humorvoll eröffnet hatte, sprach Niels Nørlund und schloss seine Rede mit einer Liebeserklärung: »Jeden Tag habe ich dir erklärt, dass ich dich liebe, und jeden zweiten Tag hast du pariert: ›Äsch, Dänische Übertreibung!‹ Aber so ist es doch, und so bleibt es!« Nach ihrem Lebensgefährten tritt Matthias Brandt ans Mikrophon. Auf dem Arm hält er seine Tochter Naima, die gerade fünf Monate alt ist. Er trägt sie im Fliegergriff, so wie das Väter von heute lernen, wenn sie ihre Kinder auf den Arm nehmen sollen. Dass er mit seiner Tochter auf dem Arm nach vorne tritt, ist kein Statement, jedenfalls kein bewusstes, das dem verstorbenen Vater gilt. Der jüngste Sohn hatte sich überlegt, was er der Mutter an diesem Tag unbedingt sagen, was der Kern seines Glückwunsches und seines Gedenkens sein sollte: »Ich glaube, dass für mich dein Zutrauen in meinen eigenen Weg, welches du mir vermittelt hast, auch und gerade in Zeiten, die schwieriger waren als die jetzigen – als für mich kein wie auch immer gearteter ›Erfolg‹ in Sicht war –, das ist, wofür ich dir wirklich sehr danke. Das wichtigste Merkmal von Freundschaft und auch von Liebe ist für mich die Bedingungslosigkeit. Die findet man – naturgemäß – nur sehr selten, wenn überhaupt. Deine Liebe ist immer bedingungslos gewesen, so wie deine Freundschaft – Freunde sind wir nämlich auch immer gewesen. Für mich war das auch deshalb wichtig, weil du damit viel von dem ausgleichen konntest, was der andere Elternteil mir vorenthielt, so empfand ich es jedenfalls – sicher nicht aus bösem Willen, aber aus dem Unvermögen heraus, die eigenen Grenzen im Zugehen auf mich zu überschreiten. Sich selbst nicht zum Maß aller Dinge zu machen, auch das hab ich von dir gelernt. Und über mich selbst lachen zu können. Ich stehe hier mit deiner Enkeltochter Naima, die im Jahr 2079 80 wird, und ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass sie bis dahin weniger Unrecht erlebt, als du dies musstest, und dass ihr in ihrem Leben genauso viel Zuneigung entgegengebracht wird wie dir in deinem.«
    Von hohen Geburtstagen ist der Weg zum letzten Abschied oftmals ein kurzer. Rut Brandt streicht dem verstorbenen Niels ein letztes Mal über die Stirn, dann will sie raus, Leben suchen, ins Land ihrer Kindheit reisen.

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