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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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voll, Arbeit, Arbeit, Arbeit. Peter wollte immer alles wissen und alles wahrnehmen.« Frau Schurig rät zu einem zweiten Stück Apfelkuchen inklusive Schlagsahne. Sie ist gerade einmal siebzehn, als sie bei den Brandts als Hausmädchen eingestellt wird. Willy Brandt prüft die Bewerberin: »Nimm ’se doch, nimm ’se doch«, rät Peter zu.
    »Und wie«, frage ich sie, »haben Sie Lars in dieser Zeit erlebt?«
    »Lars hat seine Kindheit gelebt, ihm war das Leben wichtiger, seine Freunde, das Angeln. Er hat von morgens bis abends in seinen Micky-Maus-Heften gelesen. Peter war ernster, mit dem konnte man bis in den frühen Morgen hinein diskutieren.«
    Als Rut und Willy Brandt 1959 zu einer von der Bundesregierung finanzierten Weltreise aufbrechen, die der eingeschnürten Stadt Berlin Freunde und Unterstützung in aller Welt verschaffen soll – Rut absolviert aus Sorge um die Kinder nur den Amerika-Teil –, bleiben die Kinder in »Fräulein« Schurigs und Martha Litzls Obhut. Sie gehen mit den Kindern zum Baden an den Schlachtensee, sie fahren Boot, Lars wirft seine Angel aus und zieht eine mickrige Plötze nach der anderen aus dem grünen See. Kümmerliche Exemplare, die im früheren Luftschutzkeller von Lars für sein »naturkundliches Museum« präpariert werden und bereits am nächsten Tag bestialisch stinken. Ab und an erbarmt sich »Litti« und legt ein paar Fische in die Pfanne, es ist jedoch ein beschwerliches Mahl, der Mund voller Gräten. Das Hausmädchen erinnert sich auch an gemeinsame Fernsehabende im Hause Brandt. Dann versammelte sich die ganze Familie vor der klobigen »Fernsehtruhe«, auch der Regierende Bürgermeister, und man schüttete sich aus vor Lachen, wenn Sendungen wie »Dick und Doof« oder anderer Klamauk geboten wurde.

    Bis zu Willy Brandts Wahl zum Regierenden Bürgermeister war die Familie Brandt eine weitgehend private Familie, doch das änderte sich nun schlagartig. »Das Familienleben«, erinnert sich Rut Brandt, »wurde eine öffentliche Angelegenheit. Die Fotografen gingen ein und aus. Wir stellten uns mit Kindern für sie auf, und wir stellten uns ohne Kinder auf. Ich ging mit Fotografen auf den Markt, und ich rührte für sie in leeren Töpfen auf dem Herd.« Die Familie wurde dirigiert, von öffentlichen Interessen, vom Protokoll, das nun immer häufiger auch Rut Brandts Anwesenheit forderte, von den Wünschen der Partei und diversen Terminkalendern. Die Familie Willy Brandt wurde von den Medien entdeckt, Rut Brandt wurde entdeckt, die Kinder. Brandt ist häufig als der »erste Medienkanzler der Republik« bezeichnet worden, das mag stimmen, wenn man ihn mit seinen Vorgängern vergleicht, aber diese Formel suggeriert, Brandt sei ein ungewöhnlich begabter Medienmensch gewesen, der seine Talente erst mit und in den Medien so recht zu Entfaltung habe bringen können. Doch wenn man sich seine Fernsehauftritte in den fünfziger und frühen sechziger Jahren anschaut, dann wirkt Brandt im medialen Rahmen keineswegs alert, forsch und augenblicksbegabt. Er wirkt eher gehemmt, steif, dressiert und eifrig bemüht, dem Medium die Nahrung zu liefern, die es verlangt. Ja, er sieht gut aus, jung, aber mitunter leicht unbeholfen und kamerascheu, ein instinktbegabter und wendiger Medienpolitiker wie Helmut Schmidt etwa war er nicht. Er stiert mitunter die Kamera an, als sei die ein lebendiges, gefräßiges Wesen, er lässt die Satzenden ohne wirklichen Abschluss, er wirkt mitunter phlegmatisch. In einer Sendung ist er unübersehbar alkoholisiert, das Bierglas vor sich, so eine Mediendarstellung würde heute als Debakel empfunden.
    Ende der fünfziger Jahre sind es vor allem Presse und Rundfunk, die die Familie Brandt entdecken und aufbauen, eine Familie wird inszeniert, weil die sich differenzierenden Medien auf Prominenz setzen, das Starprinzip in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzen und damit einen Strukturwandel der Öffentlichkeit forcieren. Die privaten Bilder von Politikern wie Adenauer oder Erhardt waren medial bislang eher statisch, mit der Familie Brandt beginnt sich das zu ändern. An der Seite des Mannes Brandt wird seine überaus attraktive Frau entdeckt, die als Norwegerin eine ganz eigene »abenteuerliche« Geschichte einzubringen hat, und im Lauf der sechziger und siebziger Jahre werden auch die Söhne zu Medienfiguren, die aus dem gepflegten Familienbild herausstechen und mit eigenen Stories und Interviews bedacht werden. Die Medienfamilie Brandt wird ins Bild

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