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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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gesetzt. Es beginnt mit Homestories. Ein Übertragungswagen des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) fährt am 27. August 1958 im Marinesteig vor, ein Reporter setzt sich an den Frühstückstisch. Rut Brandt, die sich vor der Live-Situation scheut, ist schon außer Haus.
    Reporter: »Wann geht’s in die Schule? Wie viel Uhr?«
    Lars: »Zehn vor neun!«
    Reporter: »Na, da ham wir ja noch ein bisschen Zeit. Und in welche Klasse gehst du jetzt?«
    Lars: »Erste!«
    Reporter: »Das ist aber eine dumme Sache, dass die Schule jetzt wieder begonnen hat, wo der Urlaub gerade vorbei ist. Ferien sind doch besser?«
    Lars: »Viel …«
    Reporter: »Viel besser? Macht die Schule überhaupt keinen Spaß oder doch so ein bisschen?«
    Lars: »Keen bisschen!«
    Reporter: »Überhaupt kein bisschen?«
    Lars: »Außer Religion, da ham wir so eine olle Lehrerin …«
    Reporter: »Die Bemerkung über die Lehrerin haben wir jetzt, Gott sei Dank, nicht gehört, aber wer urteilt nicht so von der ersten bis zur achten oder dreizehnten Klasse? … Herr, Bürgermeister, es ging ja diesmal in die Heimat Ihrer Frau!«
    Brandt: »Ja, wir waren in Norwegen.«
    Reporter: »Was macht man denn den ganzen Tag in der Einsamkeit dort oben?«
    Brandt: »Zunächst schläft man lange, außer wenn man früh aufstehen will, um fischen zu gehen, und dann macht man Ausflüge, bei schlechtem Wetter liest man. Wir haben mit den Jungs nordische Sagen gelesen, die sehr schön sind, in der Originalsprache sehr viel schöner als in der Übersetzung, man kann Spiele machen, man kann, wie gesagt, etwas fischen gehen, vor allem aber kann man mit dem Volkswagen, mit dem wir da waren, ja doch auch im dortigen Gelände besonders leicht auf schlechten Wegen rumkommen, und so haben wir also ’ne ganze Menge auch so an kleinen Ausflügen unternommen.«
    Reporter: »Was war denn das Schönste da oben?«
    Lars: »Wenn schönes Wetter ist!«
    Willy Brandt, der schon zuvor ein unermüdlicher Handlungsreisender in Sachen Politik und Partei war, wird nun immer häufiger vom Rathaus Schöneberg, einem gewaltigen, steinernen Aktenordner, verschluckt und von einer ganz anderen Familie umgeben. Die Berliner Presse nennt sie spöttisch Brandts »Heilige Familie«. Der Regierende Bürgermeister, ein legendärer Morgenmuffel, hat einen Kreis von ihm treu ergebenen Köpfen um sich gesammelt, die ihn managen, aufbauen, groß machen, ihn aber auch isolieren, damit er, auf dem Weg zu Höherem, seine ohnehin fragilen Kräfte nicht verschleißt. Jacques Schuster hat in seiner konzisen Studie über Heinrich Albertz Brandts Machtkokon anschaulich beschrieben. Da ist Klaus Schütz, ein junger Mann mit weltkriegszerschossenem Arm. Er blickt bewundernd zu dem älteren Brandt auf, adoptiert ihn innerlich als Ziehvater und investiert seine beträchtliche taktische Intelligenz, um Brandts politische Karriere zu fördern. Das Bürgermeisteramt soll – da wissen sie sich einig – für Brandt nur Zwischenstation sein. Schütz, der in Amerika die starzentrierten Wahlkampfmethoden studiert hat, wird alsbald diese Konzepte auf Brandts Kampagnen übertragen. Kaum weniger gewieft und manövererprobt ist der Pressechef des Regierenden, Egon Bahr, ein treuer Eckart, der Brandt bis zum Lebensende begleiten wird. Der frühere Chefkommentator des RIAS ist verschwiegen, sieht auch aus, wie man sich einen Geheimen und gerissenen Rat am Hofe vorstellt, wie eine kluge Fledermaus, denkt in machtpolitischen und außenpolitischen Kategorien und kann mit Brandt stundenlang hypothetische Brücken ins Hüben und Drüben des deutsch-deutschen Alltags bauen. Unbedingt genannt werden muss auch Heinrich Albertz, der zwar zwei Jahre jünger als Brandt war, dennoch aber als Chef der Senatskanzlei väterliche Beschützerinstinkte für Brandt entwickelte, dessen politische, aber auch emotionale Sensibilität ihm gefiel und geschützt werden musste. Albertz, von Haus aus ein evangelischer Pastor und – was keineswegs dasselbe sein muss – ein gläubiger Christ, besaß ein »inneres Geländer«, an dem er trittsicher durchs Leben ging. Weil ihm Parteidenken und Rituale gehörig auf die Nerven gingen und er sich nur Gott gegenüber in der letzten Pflicht sah, war er der ideale Mann für den nervös-ruhelosen Brandt. Der bedächtige Pfeifenraucher schottete Brandt ab, verhinderte, dass jeder Sozialdemokrat ungebremst zum »Genossen Brandt latschen« konnte, und half dem Bürgermeister, sich auf das Wesentliche zu

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