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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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sich – unkompliziert wie sie war – rasch mit Ninja an, sie sei ihr, sagt Heidi, immer eine »gute Stiefmutter« gewesen. »Haben Sie denn auch Carlota Thorkildssen kennengelernt?« Heidi Leonhardt bejaht das: »Ich habe sie 1956 kennengelernt. Sie war eine kleine, aber energiegeladene Person, keine strahlende Schönheit, aber eine Intellektuelle, die neun Jahre älter war als er und Brandt ein bisschen unter die Fittiche genommen hat. Sie hatte einen eigenen Freundeskreis, ein eigenes Leben. Carlota hat die Trennung von Willy Brandt gut vollzogen, ohne Scherereien, Tränen, ohne Streit, das wurde sehr geordnet vollzogen. Willy hat Ninja auch immer sehr herzliche Briefe geschrieben, er konnte überhaupt herzlich sein, aber er war eben fast nie da.«
    Die Geschichte, die hier als Kontrastweg dienen soll, ist die Geschichte ihres Vaters: Gert Leonhardt. Er ist 1913 geboren, also im selben Jahr wie Willy Brandt. Er ist ein Leichtathlet, wird ein Meisterläufer auf der 5000-Meter und der 10000-Meter-Strecke, er fasst internationale Wettkämpfe ins Auge, doch der Krieg verhindert olympische Träume und macht jeden Gedanken an ein Studium zunichte. Gert Leonhardt will eigentlich Sportjournalist werden, aber die Geschichte zieht einen dicken Strich durch diesen Lebensplan. Zwar überlebt er den Krieg, aber er gerät in jugoslawische Kriegsgefangenschaft, die – auch im Vergleich mit anderen Kriegsgefangenschaften – besonders verlustreich, entbehrungsreich und grausam ist. Unterdessen hat sich Heidi Leonhardts Mutter, die von ihrem Mann seit Jahren keine Nachricht erhalten hat und ihn für tot hält, in einer sogenannten »Onkelehe« eingerichtet. »Als mein Vater zurückkam, hatten wir einen strahlenden Helden erwartet, aber dann kam da so ein kleiner, kümmerlicher Wurm. Onkel Walther, Mutter und mein Vater hielten mehrere Konferenzen ab, wie es weitergehen sollte. Mein Vater war natürlich sehr verbittert, und ich erinnere mich, wie er auf Fotos von Mutter Walther wegschnitt. Mein Vater hat Brandt gehasst, er hat ihn nicht einmal gegrüßt, und am liebsten hätte er mir verboten, dass ich zum Spielen rübergehe, aber da setzte ich mich durch. Mein Vater wurde dann, weil er gut mit Menschen umgehen konnte, Vertreter für ›BBB‹, besonders billige Bettwäsche, später schlug er sich als Versicherungsvertreter durch.«
    Wie sah Gert Leonhardt Brandt? Wie stellte sich dessen Schicksal dar, wenn er es mit seinem Weg verglich? Der war ins Ausland gegangen, der hatte nicht kämpfen müssen, hatte im Trockenen gesessen, dem war kein Haar gekrümmt worden. Der hatte nicht gehungert, der war nicht zum Minenräumen oder Steineklopfen gezwungen worden, der stand nicht unter der Knute. Draußen hat er seine Freiheit genossen, während er als Soldat in den Dienst der Vernichtung gezwungen wurde, der eigenen und der der anderen. Der kam 1945 nach Hause, brachte eine schöne Frau mit, machte Karriere, fand ein Haus, und kein Onkel hatte seinen Platz als Ehemann und Vater eingenommen, keiner hatte ihn tot geglaubt, kein Kind hatte ihn fremd und zweifelnd angeschaut. Aus dieser Perspektive war es leicht, jemanden wie Brandt, der als Günstlings des Schicksals erscheinen musste, abzulehnen, ja zu hassen.
    Befremden musste Rut und Willy Brandt auch, wenn die eigenen Kinder Nazi-Ideologeme wie bunte Steine ins Haus schleppten, ohne sich etwas dabei zu denken. Eine solche Begebenheit hat Peter Brandt erzählt. Mit sechs oder sieben Jahren teilt er seiner Mutter ganz unschuldig mit, Hitler sei doch gar kein so schlechter Mann gewesen, der habe vieles auch gut hinbekommen. Rut Brandt bleibt ruhig, sie schimpft nicht, sie fragt ihren Sohn nur, woher er denn solche Gedanken habe. Ein etwas älterer Freund von Peter, der aus einer Familie stammt, in der die Mutter eine gläubige Nationalsozialistin war, ist der Lieferant des braunen Saatguts. Als der Freund Peter das nächste Mal besucht, nimmt sie ihn beiseite und klärt ihn auf: »Hör mal, Hartmut! Ich habe gehört, dass du ein großer Hitler-Anhänger bist? Weißt du denn eigentlich, was der gemacht hat? Er hat einige meiner besten Freunde umgebracht! So ein Mann ist das!« Peters Freund versteht sofort, was Rut Brandt sagen will. »Wenn die Mutter meines besten Freundes so etwas sagt, dann muss etwas dran sein!« Und der Freund, so berichtet es Peter Brandt, überliefere diese Anekdote bis heute, weil er glaubt, dass Rut Brandts Mahnung ein wichtiger pädagogischer Baustein auf

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