Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Schließlich war der Schriftsteller in konservativen Kreisen wegen einiger erotischer Szenen in »Die Blechtrommel« und »Katz und Maus« als »Pornograph« verrufen. Die Konstellation barg Zündstoff. Und schließlich – das war nicht die geringste Sorge – sollte der Film in Polen gedreht werden, hinter dem Eisernen Vorhang, da fuhr man nicht einfach mal schnell hin und zurück, in ein Land, zu dem die Bundesrepublik noch keine diplomatischen Beziehungen unterhielt und das immer noch vom Überfall der Hitler-Wehrmacht traumatisiert war, ein Land, das immer noch unter den Stiefeltritten der »Herrenmenschen« litt und sich vor dem »Revanchismus« derjenigen in der Bundesrepublik fürchtete, die die Oder-Neiße-Grenze und den damit verbundenen Verlust der Heimat nicht hinnehmen wollten. Wie würde dieses Land die jungen Deutschen aufnehmen? Die Bedenken bei Rut und Willy Brandt waren also nicht gering, doch die liberalen Eltern gaben dem Wunsch der Söhne, die die Dreharbeiten als großes Abenteuer ansahen, als Expedition ins reizvoll Ungewisse, nach. Am 23. März 1966 setzen Rut und Willy Brandt ihre Unterschrift unter den Vertrag, der ihnen unter Paragraph 13 (»Besondere Vereinbarungen«) zusicherte, dass die Dreharbeiten auf jeden Fall pünktlich zum Ende der großen Sommerferien abgeschlossen sein würden, dass die Söhne keinen Pfennig mehr als die anderen jugendlichen Darsteller erhalten durften, nämlich tausend Mark, und dass jeder Alkohol von ihnen fernzuhalten war. »Ich gehe davon aus«, fügte Vater Brandt dem Vertrag hinzu, »daß es nur so gemacht wird, wie es sich gegenüber Minderjährigen, die die Schule besuchen, verantworten läßt und mit meiner Stellung in der Öffentlichkeit vereinbar ist.« Rut Brandt, die zu Hause vieles großzügig, jedoch nicht gleichgültig laufen ließ, war keine argwöhnisch äugende Mutter, kein Kontrollfreak, keine puritanische Sittlichkeitswächterin, kannte aber im Hinblick auf Alkohol kein Pardon. Peter Brandt erinnert sich an die eisig-strenge Reaktion seiner Mutter, als sie eines Tages glauben musste, ihr Sohn habe heimlich Alkohol getrunken: »Zu meinem sechzehnten Geburtstag durfte ich eine Geburtstagsfeier ausrichten. Meine Eltern waren nicht zu Hause. Es waren auch einige Freunde eingeladen, die etwas älter waren. Einer von ihnen, der unser Haus so gut kannte, dass er genau wusste, wo die Alkoholvorräte lagerten, zauberte eine Flasche Whisky oder Kognak hervor, und die musste dann dran glauben. Die meisten hatten das gar nicht mitbekommen, aber die Älteren ließen die Flasche kräftig kreisen, ruck-zuck war die alle. Das hätte auch gar keine Folgen gehabt, wenn der Dussel die Flasche bloß nicht in die Mülltonne geworfen hätte. Am nächsten Morgen kam es dann zur Riesenkatastrophe, ein Riesenkrach, da war meine Mutter rigoros, dieser Vertrauensbruch, so empfand sie es, war nicht wiedergutzumachen. Dabei hatte ich selbst keinen Tropfen davon getrunken. Sie hat wochenlang nicht mehr mit mir gesprochen, und das war eine harte Strafe. Fürchterlich! Ihre Reaktion muss man vor dem Hintergrund Nordeuropas sehen. In Norwegen gab es Phasen der Prohibition, Volksabstimmungen über das Alkoholverbot, und in der Arbeiterbewegung existierte eine ziemlich starke Abstinenzlerbewegung, weil Alkohol als Mittel der Unterdrückung und Verdummung gesehen wurde.«
Die Söhne Lars, links, und Peter, in der Mitte Willy Brandt, Mitte der sechziger Jahre, Berlin
[Maria Jänicke]
Vor diesem Reiz- und Gewitterhorizont kann man von Glück sagen für Rut und ihre Söhne, dass der Mutter (und dem Vater) die genauere Kenntnis der Umstände bei den Dreharbeiten in Danzig, Zoppot und Gdingen erspart geblieben ist. Peter, scheinbar putzmunter und pflichtbewusst, schreibt der Mutter am 9. Juli 1966 – das Team ist bereits seit acht Tagen in Polen: »Liebe Mutti! Entschuldige, daß ich erst jetzt schreibe! Aber ich habe wirklich furchtbar viel zu tun. Das Filmen macht mir riesigen Spaß. Die Arbeit ist das Interessanteste überhaupt. Pohland ist sehr zufrieden; er überlegt aber, ob Lars nicht doch einen größeren Teil – einschließlich des Wracks – übernehmen sollte. Alles kommt gut voran. Wahrscheinlich werden wir eine Woche früher fertig sein. Das Wetter ist unterschiedlich. Sonst geht es uns gut. Viele Grüße an Matthias, Verwandte und Freunde. Dein Peter. PS: Wenn ich mehr Zeit habe, hörst Du wieder von mir.« Vergleicht man diese auffällig knappe Schilderung
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