Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
Vom Netzwerk:
Zahlmeister, der ihnen pro Tag einen Dollar auszahlte, gedankenlos »Polacke« geschimpft, weil der ihm das Taschengeld verweigerte. Andere Erinnerungsbruchstücke: Irgendjemand kratzt Hakenkreuze in den Lack eines Produktionsautos. Peter Brandt wird wüst beschimpft, als er in der Uniform eines deutschen Panzergrenadiers zum Set eilt. Doch insgesamt seien das Ausnahmen gewesen, kurze Momente der Irritation, ansonsten habe Gastfreundschaft vorgeherrscht, vor allem da, wo die Jungen privaten Zugang zur polnischen Bevölkerung fanden, und ja, es entspannen sich auch deutsch-polnische Liebesgeschichten. Christof Arnold, einer der Schüler, kommt mit einem Kellner ins Gespräch, nachdem ihm dessen eintätowierte Häftlingsnummer auf dem Unterarm aufgefallen war. Ein offenes Gespräch entspinnt sich, der Kellner erzählt, dass seine Familie in Auschwitz ermordet worden sei, er ist der einzige Überlebende. An einem drehfreien Tag besuchen einige der Schüler das KZ Stutthoff, Neuss, der dazu keine Lust hat, döst im Auto.
    Je länger die Dreharbeiten dauern, desto angespannter wird die Situation. Wolfgang Zeller schreibt an Maria Jänicke: »Die Atmosphäre ist furchtbar geladen, wir öden uns gegenseitig an, geraten auch in Streit. [ … ] Neuss ist inzwischen ein psychopathologischer Fall geworden. Er leidet unter Verfolgungswahn, ist jemand unfreundlich von den Polen, so ist das ›Anti-Neusstum‹, der Stab kann ihn nicht leiden, wir verlassen ihn immer, es ist verrückt, schon idiotisch, er kommt aus Berlin zurück, verteilt Zigaretten und alles für mindestens 500 Mark als Geschenke, am selben Nachmittag prügelt er sich mit Pohland, richtig handgreiflich, Lustig, unser Tonmann, hat mitgeschnitten. Aber irgendeine Macke hat hier jeder. Da hilft nur Flucht, entweder in den Suff, Schnaps haben wir immer da, oder real, will sehen, daß ich nach Warschau komme.«
    Kaum sind die Dreharbeiten beendet, kaum sind Lars und Peter wieder in Berlin, da beginnt der Kampf um den Film, um seine politische Botschaft, seinen künstlerischen Stil und um das Image der Familie Brandt. Es sind in erster Linie zwei innenpolitische Entwicklungen, die dafür sorgen, dass »Katz und Maus« zu einem der umstrittensten Filme der deutschen Nachkriegsgeschichte wird: Die Wahlkampferfolge der NPD und der Regierungswechsel in Bonn. Die rechtsextreme Partei zieht im November 1966 in den hessischen und in den bayerischen Landtag ein. Diese absehbaren Erfolge machen die Politiker von CDU und CSU nervös. Und Willy Brandt muss – er wird am 1. Dezember 1966 zum Außenminister und Vizekanzler der Großen Koalition gewählt – in besonderer Weise auf sein Image achten. Bevor der Film überhaupt in den Kinos anlief, schäumte die politische Rechte, da Willy Brandt es als Vater und als Politiker zugelassen hatte, dass seine Söhne ein nationales Symbol »in den Dreck zogen«. Dagegen sah Günter Grass sein Werk befleckt und verunstaltet. Nachdem er als einer der ersten einen Rohschnitt des Films gesehen hatte, schrieb er am 27. September voller Zorn an Pohland: »Lars Brandt tanzt mit dem Ritterkreuz. Hier haben Sie dem Jungen etwas abgefordert, das er nie leisten konnte, ein bloßes verspieltes Baumelnlassen des Ritterkreuzes auf nacktem Oberkörper, ein Erstauntsein über den Fremdkörper auf nackter Haut wäre mehr gewesen. Dieser halbschwule Tanz jedoch, den Lars Brandt vorführen muss, zerrt die Kritik an militärischen Ehrenzeichen in eine andere unreflektierte Richtung, die ich nicht gutheißen kann. [ … ] Mit einem Wort: dieser Film darf so nicht gezeigt werden.« Grass, der sich auch gegenüber Brandt in der Verantwortung sah, fordert von dem Regisseur autoritär »ein weiteres Jahr Arbeit« und »neue Dreharbeiten«. Peter Brandt erinnert sich, dass ihm Pohland von diesem Brief erzählte und ganz irritiert fragte: »Was will denn der Grass, der schreibt mir hier so komische Briefe, Nachdreh im Winter? Ich versteh das nicht!« Der Schriftsteller bewies mit seinem Anliegen, dass er wenig Einsicht in die Produktionsweise von Filmen besaß, denn er verglich die Dreharbeiten, die kollektive Team- und Terminarbeiten waren und sind, überdies kostenintensiv und schwer zu koordinieren, umstandslos mit alleingängerischer Schriftstellerei.
    Der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß hingegen führte keine künstlerischen Bedenken ins Feld, als er sich am 21. September in einer Bundestagsdebatte an Helmut Schmidt wandte und ihm

Weitere Kostenlose Bücher