Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Veränderung zu entschließen. Die Onanie-Szene ist meines Erachtens – auch gemessen am Drehbuch und in Widerspruch zu unserer seinerzeitigen Unterhaltung in meinem Büro – überzeichnet und überlang. Als Vater muß ich gegenüber dem Vorwurf bestehen können, meinen minderjährigen Sohn nicht in Schutz genommen und gleichzeitig die Empfindungen anderer verletzt zu haben. Die gestrige Unterhaltung hat mich davon überzeugt, daß die Überzeichnung filmisch nicht nötig ist, sondern daß der Film hier durch etwas mehr Diskretion nur gewinnen würde. Die in die Breite gehenden Tanzszenen mit dem Ritterkreuz können – aus welchen Gründen auch immer – als kränkend empfunden werden und sollten deshalb so nicht bleiben. Auch zu diesem Punkt hat mir das gestrige Gespräch die Überzeugung vermittelt, daß der Film durch gewisse Korrekturen nicht Schaden leiden, sondern gewinnen würde. Ich möchte Ihnen vorschlagen, daß Sie sich mit Herrn Grass zusammensetzen, mit ihm das gestrige Gespräch fortsetzen und zu Lösungen kommen, die meinen beiden wesentlichen Einwänden gerecht werden. Ich hoffe, daß dieser Vorschlag Ihnen zeigt, daß es mir nicht darum geht, einen unangemessenen und sachfremden Einfluß auf ihr Filmwerk zu nehmen.« Brandt schrieb hier, einen Tag vor Heiligabend, in der Rolle des Privatmannes, auf privatem und nicht auf amtlichem Briefpapier. Er stellte den Vater vor den Politiker, ohne jedoch den Politiker zu vergessen. Die Sorge galt zunächst dem Sohn und seinem Bild, aber Brandt vergaß auch nicht den politischen Zündstoff, der in den Ritterkreuz-Szenen steckte. Im Kern ließ er, im Gegensatz zu Grass, den Film unangetastet und bat, sensibilisiert auch durch Rut Brandt und seinen Berater Klaus Schütz, die den Film ebenfalls gesehen hatten, um Änderungen. Diesem diplomatischen Ton, diesem väterlich-familiären Ersuchen konnte und wollte sich Pohland nicht widersetzen und kürzte die betreffenden Szenen. Geringfügig verändert, feierte der Film, begleitet von Protesten, am 7. Februar 1967 seine Premiere im Berliner Zoopalast. Trotz einiger Pöbeleien und Krakeeler (»Pfui Teufel!« und »Sauerei!« von der einen Seite und »Dummköpfe raus!« von der anderen Seite) blieb die Uraufführung im Beisein von Peter, Lars und Rut Brandt vergleichsweise ruhig. Schlimmeres war befürchtet worden. Peter erhielt im Vorfeld einen Brief des Vorsitzenden der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger, Brigadegeneral Horst Niemack, der ihm entschieden auseinandersetzte, warum man das Ritterkreuz nicht so schändlich schmähen dürfe. Während dieser Brief im Ton sachlich blieb, erhielt Willy Brandt eine Flut von aggressiven, beleidigenden und drohenden Briefen. Im »Spiegel« wurden Leserbriefe abgedruckt, die durch wüste Erziehungsratschläge auffielen: »Willy, wo ist dein Rohrstock?« Die Mehrzahl der Kritiker ging mit dem Film hart ins Gericht; so stellte etwa Uwe Nettelbeck in der »Zeit« fest, die Adaption sei »peinlich«, und Joachim Kaiser konstatierte in der »Süddeutschen Zeitung«: »Pohland quält Katz und Maus«. Doch gerade ausgesprochene Filmkritiker wie Ulrich Gregor oder Christa Maerker konnten Pohlands offener Erzählweise durchaus etwas abgewinnen. Lars, der offenkundig unbefangener agierte als sein Bruder Peter, dem man die hemmende Arbeit der Selbstbeobachtung ansah, heimste einiges Lob ein, wenngleich die Kritiker auch anmerkten, dass es sich dabei in erster Linie um seine persönliche Präsenz und nicht um ein differenziertes Spiel handelte. Woher hätten die Jungen das auch nehmen sollen? Schauspielunterricht hatte keiner von ihnen genossen. Friedrich Luft, einer der wichtigsten Theaterkritiker des Landes, urteilte am 11. Februar 1967 in der »Welt«: »Lars Brandt spielt den jüngeren Mahlke. Pohland läßt ihn, klugerweise, eigentlich gar nicht ›spielen‹. Er bedient sich seiner sperrigen Jugend. Er nutzt seine Unbeholfenheit. Er macht sich seine Staksigkeit zunutze. Kein Jung-Star, sondern ein Typ wurde geliefert. Er hat sogar Mahlkes kräftigen Knorpel unterm Kinn. Er paßt. Mehr sollte nicht sein.« Joachim Kaiser, auch er einer der Kritiker von höchstem Rang in jenen Jahren, kommt am 13. Februar in der »Süddeutschen Zeitung« zu einer vergleichbaren Einschätzung: »Denn hier ist wirklich kein Urteil über die Große Koalition abgegeben, wenn festgestellt wird, daß Willy Brandts Söhne Lars und Peter den Helden der Novelle, Joachim Mahlke, vielleicht
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