Die Farbe der Gier
einen Test durchgeführt haben?«, verlangte Fenston zu wissen.
»Ich muss keinen Test durchführen«, erklärte Savage mit Nachdruck.
»Warum nicht?«, bellte Fenston.
»Weil das falsche Ohr bandagiert ist«, lautete die prompte Antwort.
»Das ist nicht wahr!«, insistierte Fenston und starrte sein Bild an.
»Jedes Schulkind weiß doch, dass van Gogh sich das linke Ohr abgeschnitten hat.«
»Aber nicht jedes Schulkind weiß, dass sein Selbstporträt in den Spiegel schaut, also ist das rechte Ohr bandagiert.«
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Fenston ließ sich auf den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen, mit dem Rücken zum Gemälde. Savage schlenderte vor und betrachtete das Bild noch eingehender. »Mich erstaunt, dass das Gemälde zwar eindeutig eine Fälschung ist, es jemand dennoch in den Originalrahmen gesteckt hat.« Fenstons Gesicht wurde rot vor Wut. »Und ich muss zugeben«, fuhr Savage fort,
»wer immer diese Version gemalt hat, ist ein hervorragender Künstler.« Er schwieg kurz. »Allerdings schätze ich den Wert des Gemäldes nur auf 10000 Dollar und …«, er zögerte,
»vielleicht weitere 10000 für den Rahmen, was die vorgeschlagene Versicherungsprämie von 200000 etwas überhöht erscheinen lässt.« Fenston sagte immer noch nichts.
»Es tut mir Leid, der Überbringer solch schlechter Nachrichten zu sein.« Savage entfernte sich von dem Bild und blieb vor Fenston stehen. »Ich hoffe nur, dass Sie keine allzu große Summe für dieses Bild bezahlt haben, oder falls doch, dass Sie wissen, wer für dieses ausgefeilte Täuschungsmanöver verantwortlich ist.«
»Holen Sie mir Leapman!«, brüllte Fenston mit aller Kraft, was Tina veranlasste, in das Büro gerannt zu kommen.
»Er ist eben eingetroffen«, sagte sie. »Ich werde ihm sagen, dass Sie ihn sprechen wollen.«
Weder der Mann von Lloyd’s noch der Experte von Christie’s hielten es für angebracht, in der Hoffnung auf eine Tasse Kaffee zu verweilen. Sie zogen sich diskret zurück, als Leapman hereingestürmt kam.
»Es ist eine Fälschung!«, schrie Fenston.
Leapman starrte einige Zeit zu dem Bild hoch, bevor er seine Meinung äußerte. »Dann wissen wir beide, wer dafür verantwortlich ist«, sagte er schließlich.
»Anna Petrescu.« Fenston spuckte den Namen förmlich aus.
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»Ganz zu schweigen von ihrer Partnerin, die sie mit Informationen versorgt hat, seit die Petrescu von Ihnen gefeuert wurde.«
»Sie haben Recht.« Fenston drehte sich zur offenen Tür und brüllte lauthals »Tina!«. Wieder kam sie in den Raum gerannt.
»Sehen Sie dieses Gemälde?«, fragte er, unfähig sich umzudrehen und es anzuschauen. Tina nickte, sagte aber nichts.
»Ich will, dass Sie es wieder in die Kiste stecken und sofort nach Wentworth Hall schicken. Zusammen mit einer
Zahlungsaufforderung über …«
»32 Millionen 892000 Dollar«, ergänzte Leapman.
»Und sobald Sie das getan haben«, sagte Fenston, »können Sie Ihren persönlichen Kram einsammeln und dafür Sorge tragen, dass Sie binnen zehn Minuten das Gebäude verlassen haben, denn Sie sind gefeuert, Sie kleines Miststück.«
Tina zitterte, als Fenston sich hinter seinem Schreibtisch erhob und auf sie herabstarrte. »Doch bevor Sie gehen, habe ich noch eine letzte Aufgabe für Sie.« Tina konnte sich nicht bewegen.
»Richten Sie Ihrer Freundin Anna Petrescu aus, dass ich ihren Namen immer noch nicht von der Liste der Vermissten und vermutlich Toten gestrichen habe.«
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ANNA HATTE DAS GEFÜHL, dass ihr Mittagessen mit Ken Wheatley besser hätte laufen können. Der stellvertretender Leiter von Christie’s hatte deutlich gemacht, dass der unselige Zwischenfall, der ihre Kündigung bei Sotheby’s herbeigeführt hatte, von ihren Kollegen in der Kunstwelt noch längst nicht als erledigt und abgehakt betrachtet wurde. Und es half auch nicht, dass Bryce Fenston jedem, der es hören wollte, erzählte, ihr sei gekündigt worden, weil ihr Verhalten der Repräsentantin einer Bank unwürdig gewesen sei. Wheatley räumte ein, dass sich niemand viel aus Fenston machte. Man zögere jedoch, einen so wertvollen Kunden zu verstimmen, was bedeutete, dass sich ihr Wiedereintritt in die Auktionswelt nicht als einfach erweisen würde.
Wheatleys Worte stärkten nur Annas Entschlossenheit, Jack bei der Überführung von Fenston zu unterstützen. Fenston schien es ja egal zu sein, wessen Leben er ruinierte.
Im Moment gebe es nichts Passendes für jemanden mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen, so hatte Ken es
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