Die Farbe der Gier
Tür langsam auf. Er wollte auch nicht das leiseste Geräusch verursachen. Auf Zehenspitzen schlich er über den dick mit Teppichen ausgelegten Flur, bis er wieder vor seinem Büro stand. Er prüfte, ob immer noch nur unter der Tür des Vorsitzenden Licht brannte. Dann öffnete er seine Bürotür, trat ein und verriegelte sie. Er setzte sich auf den Stuhl hinter seinen Schreibtisch und legte die Kamera in seine Tasche, schaltete jedoch kein Licht ein.
Er saß allein in der Dunkelheit und wartete geduldig.
373
Fenston überdachte den Kreditantrag eines Michael Karraway, der sich 14 Millionen borgen wollte, um in eine Gruppe von Provinztheatern zu investieren. Karraway war ein arbeitsloser Schauspieler mit wenig Bühnenerfahrung. Aber es sprach für ihn, dass er eine nachsichtige Mutter gehabt hatte, die ihm einen Matisse, Blick aus dem Schlafzimmer, und eine drei Hektar große Farm in Vermont hinterlassen hatte. Fenston betrachtete das beigefügte Dia einer jungen Nackten, die aus einem Schlafzimmerfenster schaute, und beschloss, Leapman anzuweisen, einen Vertrag aufzusetzen.
Fenston schob den Kreditantrag beiseite und blätterte den neuesten Katalog von Christie’s durch. Bei einer Abbildung von Degas’ Tänzerin vor einem Spiegel hielter inne, aber sobald er den geringen Schätzwert sah, blätterte er weiter. Schließlich hatte ihm Pierre de Rochelle einen weitaus höher geschätzten Degas ermöglicht, Die Tanzlehrerin.
Fenston studierte die Preisangaben jedes Bildes und regelmäßig tauchte ein Lächeln auf seinem Gesicht auf, wenn ihm klar wurde, wie sehr seine eigene Sammlung im Wert stieg.
Er sah zu der Uhr auf seinem Schreibtisch: 19 Uhr 43.
»Scheiße«, rief Fenston. Wenn er sich nicht beeilte, würde er zu seiner eigenen Rede auf dem Festbankett zu spät kommen. Er nahm den Katalog und ging rasch zur Tür. Dort gab er den sechsstelligen Code in den Kasten neben dem Lichtschalter ein, trat auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Acht Sekunden, nachdem er sie abgeschlossen hatte, hörte er, wie die Sicherheitsgitter einrasteten.
Auf der Fahrt nach unten mit dem Aufzug entdeckte Fenston fasziniert Caillebottes Straßenkehrer. Er hatte die größere Version zum halben Preis von einem Kunden erworben, der vor kurzem Konkurs angemeldet hatte. Als sich die Aufzugstüren öffneten, ging er rasch zum Empfang und trug sich aus. 19 Uhr 48.
374
Während er durch die Lobby schlenderte, sah er seinen Chauffeur, der an der untersten Stufe der Eingangstreppe auf ihn wartete. Fenston steckte seinen Daumen in den Katalog, als er sich auf dem Rücksitz niederließ. Zu seiner Verärgerung entdeckte er auf der nächsten Seite van Goghs Die Kartoffelernte, auf nur 27 Millionen Dollar geschätzt. Fenston fluchte. Das Bild war nicht einmal in derselben Liga wie Selbstporträt mit abgeschnittenem Ohr.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der Chauffeur. »Wollen Sie immer noch zum Festbankett der Banker?«
»Allerdings, also los.« Fenston blätterte eine weitere Katalogseite um.
»Es ist nur so, dass …« Der Chauffeur nahm eine
Einladungskarte mit Goldprägung vom Beifahrersitz.
»Dass was?«, fragte Fenston.
»Dass in der Einladung um Abendkleidung gebeten wird.« Der Chauffeur drehte sich um und reichte seinem Chef die Einladungskarte.
»Scheiße.« Fenston ließ den Katalog auf den Sitz neben sich fallen. Normalerweise hätte Tina seinen Smoking herausgelegt, anstatt ihn im Schrank hängen zu lassen. Er sprang aus dem Wagen, noch bevor der Chauffeur die Tür für ihn öffnen konnte, und nahm zwei Stufen auf einmal zum Eingang hoch. Rasch lief er am Empfang vorbei, ohne sich die Mühe zu machen, sich erneut einzutragen. Er eilte zu den Aufzügen und drückte auf den Knopf für den 32. Stock.
Als er aus dem Aufzug trat, fiel ihm als Erstes auf, dass Licht unter seiner Bürotür hindurchschien. Er hätte schwören können, dass er das Licht gelöscht hatte, nachdem er den Alarm eingestellt hatte. Oder war er von dem Katalog dermaßen gefesselt gewesen, dass er es einfach vergessen hatte? Er wollte gerade den Code in den Kasten neben seiner Tür eingeben, als er ein Geräusch in seinem Büro hörte.
375
Fenston rührte sich nicht, sondern wartete, ob der Eindringling seine Anwesenheit bemerkt hatte. Es tat sich nichts, darum ging Fenston langsam rückwärts und glitt geräuschlos in das angrenzende Büro, dessen Tür er hinter sich schloss. Er setzte sich auf den Stuhl seiner Sekretärin und suchte nach
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