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Die Farbe der Gier

Die Farbe der Gier

Titel: Die Farbe der Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe der Gier
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erreichte, wurde der Rauch dichter und füllte rasch ihre Lungen. Sie schützte ihre Augen und musste unkontrollierbar husten. Anna hatte einmal gelesen, 90 Prozent aller Todesfälle bei einem Feuer seien die Folge von Rauchinhalation. Ihre Ängste wurden noch verstärkt, als die Leute vor ihr immer langsamer wurden und schließlich stehen blieben. Das Husten hatte sich in eine Epidemie verwandelt. Waren sie nun alle gefangen, ohne einen Fluchtweg nach oben oder unten?
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    »In Bewegung bleiben!«, ertönte die Anweisung eines Feuerwehrmannes, der auf sie zukam. »Ein paar Stockwerke lang wird es schlimmer, aber dann haben Sie es hinter sich«, versicherte er jenen, die immer noch zögerten. Anna starrte in das Gesicht des Mannes, der mit so viel Autorität Anweisungen erteilte. Sie gehorchte ihm, voller Zuversicht, dass sie das Schlimmste schon hinter sich hatte. Sie hielt die Augen bedeckt und hustete noch drei Stockwerke lang, aber der
    Feuerwehrmann sollte Recht behalten, denn der Rauch löste sich allmählich auf. Anna beschloss, nur noch auf die Profis zu hören, die die Treppe hochkamen, und die Meinung der Laien, die die Treppe hinunterstiegen, außer Acht zu lassen.
    Eine Welle der Erleichterung lief durch all jene hindurch, die dem Rauch entkommen waren, und sie versuchten sofort, den Abstieg wieder zu beschleunigen. Aber schon allein ihre große Anzahl verhinderte ein rasches Fortkommen in dieser Einbahnstraße. Anna bemühte sich, ruhig zu bleiben, als sie hinter einem Blinden landete, der von seinem Blindenhund die Treppe hinuntergeleitet wurde.
    »Keine Angst vor dem Rauch, Rosie«, sagte der Mann. Der Hund wedelte mit dem Schwanz.
    Immer weiter und weiter hinunter, das Tempo diktiert von dem Menschen vor einem. Als Anna schließlich an der verlassenen Cafeteria im 39. Stock vorübereilte, kamen ihr nicht mehr nur Feuerwehrmänner entgegen, sondern auch Port Authority Beamte und Polizisten von der Emergency Service Unit – die beliebtesten aller New Yorker Cops, da sie nur für Notfallsicherheit und Lebensrettung zuständig waren – keine Strafzettel für falsches Parken, keine Verhaftungen. Anna fühlte sich schuldig, als sie an Menschen vorbeikam, die bereit waren, nach oben zu gehen, während sie immer weiter in die Gegenrichtung eilte.
    Als Anna das 34. Stockwerk erreichte, hielten mehrere erschöpfte Bummelanten an, um eine Pause einzulegen, einige 67
    davon tauschten sogar Anekdoten aus, während andere sich immer noch weigerten, ihr Büro zu verlassen, weil sie nicht glauben konnten, dass ein Problem im vierundneunzigsten Stock irgendwelche Auswirkungen auf sie haben könnte. Anna sah sich um, hoffte verzweifelt, ein vertrautes Gesicht zu erkennen, vielleicht Rebecca oder Tina, sogar Barry, aber sie hätte sich genauso gut in einem fremden Land befinden können.
    »Wir haben eine Stufe drei da oben, möglicherweise eine Stufe vier«, sagte ein Einsatzleiter in sein Funkgerät. »Ich lasse jedes Stockwerk räumen.«
    Anna sah zu, wie der Einsatzleiter systematisch jedes Büro evakuierte. Er würde eine Weile brauchen, denn jedes Stockwerk besaß die Größe eines Fußballfeldes.
    Im 21. Stock weigerte sich ein Mann standhaft, seinen Schreibtisch zu verlassen; er hatte soeben einen Devisendeal über eine Milliarde Dollar abgeschlossen und wartete noch auf die Bestätigung der Transaktion.
    »RAUS!«, brüllte der Einsatzleiter, aber der schick gekleidete Mann ignorierte den Befehl und tippte weiter auf seine Tastatur ein. »Ich sagte RAUS«, wiederholte der leitende
    Feuerwehrmann, Während zwei seiner jüngeren Kollegen den Mann aus seinem Stuhl hoben und ihn auf der Treppe absetzten.
    Widerwillig schloss sich der bestätigungslose Broker dem Exodus an.
    Als Anna den 20. Stock erreichte, stellte sich ihr ein neues Problem. Sie musste durch Wasser waten, das nun aus der Sprinkleranlage auf sie herabprasselte und in jedem Stock aus den Rohren leckte. Vorsichtig trat sie über einige Scherben und brennenden Schutt, der verstreut im Treppenhaus lag und den Strom an Menschen verlangsamte. Sie fühlte sich wie ein Footballfan, der versucht, ein überfülltes Stadion zu verlassen, in dem es nur ein einziges Drehkreuz gibt. Als sie schließlich in die 10er-Stockwerke kam, beschleunigte sich ihr Fortkommen 68
    rapide. Die Stockwerke unter ihr waren bereits geräumt worden und immer weniger Büroangestellte schlossen sich ihnen im Treppenhaus an.
    Im zehnten Stock starrte Anna durch eine offene Tür in

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