Die Farbe der Gier
kniete dann nieder und fing an zu beten.
Vater unser … Anna fühlte sich friedlich. Gerade wollte sie die Augen schließen und sich einem tiefen Schlaf hingeben, als sie aus dem Nichts das Blaulicht eines Streifenwagens aufleuchten sah. Der du bist im Himmel … Sie strengte sich ein letztes Mal an, wieder auf die Beine zu kommen und auf das Blaulicht zuzustolpern. Geheiligt werde dein Name … aber der Wagen fuhr vorbei, hörte ihren klagenden Hilfeschrei nicht.
Dein Reich komme … Anna fiel erneut zu Boden und riss sich dabei das Knie an einer Bordsteinkante auf. Dein Wille geschehe
… aber sie spürte nichts. Wie im Himmel so auf Erden. Sie klammerte sich mit der Rechten an den Bordstein und brachte es irgendwie fertig, noch ein paar Zentimeter weiterzukriechen. Sie wollte gerade aufhören zu atmen, als sie meinte, etwas Warmes zu berühren. »Hilfe«, murmelte sie schwach, keine Reaktion erwartend.
»Geben Sie mir Ihre Hand«, kam sofort die Antwort. Sein Griff war fest. »Versuchen Sie aufzustehen.«
Mit seiner Hilfe hievte Anna sich irgendwie hoch. »Können Sie das Dreieck aus Licht da drüben sehen?«, fragte die Stimme, aber sie konnte nicht einmal sehen, in welche Richtung er deutete. Anna drehte sich und starrte in 360 Grad schwarze Nacht. Plötzlich stieß sie einen unterdrückten Freudenschrei aus.
Sie hatte einen Strahl aus Sonnenlicht entdeckt, der versuchte, durch den schweren Mantel aus Düsternis zu brechen. Sie nahm die Hand des Fremden und gemeinsam gingen sie
zentimeterweise auf das Licht zu, das mit jedem Schritt heller wurde, bis sie schließlich aus der Hölle traten und wieder in New York waren.
Anna wandte sich der ascheverklebten Gestalt zu, die ihr Leben gerettet hatte. Seine Uniform war dermaßen mit Schmutz und Staub bedeckt, dass sie ihn nicht als Cop erkannt hätte, 75
wenn er nicht die vertraute, spitze Mütze und eine Marke getragen hätte. Er lächelte und Risse sprangen in seinem Gesicht auf, als ob er eine dicke Schicht Make-up tragen würde. »Gehen Sie weiter auf das Licht zu«, sagte er und war schon wieder in dem düsteren Nebel verschwunden, bevor sie ihm danken konnte. Amen.
Fenston versuchte, sein Büro zu kontakten, bis er sah, wie der Nordturm in sich zusammenbrach. Er legte den Hörer auf, eilte den unvertrauten Flur entlang und fand Leapman, wie er VERKAUFT auf ein ›Zu vermieten‹-Schild schrieb, das an der Tür eines leeren Büros befestigt war.
»Morgen werden zehntausende Menschen auf dieses Büro scharf sein«, erklärte Leapman. »Jetzt haben wir wenigstens ein Problem gelöst.«
»Sie können vielleicht ein Büro ersetzen, aber meinen Monet können Sie nicht ersetzen«, erwiderte Fenston undankbar. Er schwieg. »Und wenn ich diesen van Gogh nicht kriege …«
Leapman sah auf seine Armbanduhr. »Der sollte momentan mitten über dem Atlantik sein.«
»Wollen wir es hoffen, denn wir haben jetzt keinerlei Unterlagen mehr, um zu beweisen, dass das Gemälde uns gehört.« Fenston sah aus dem Fenster und starrte auf die graue Wolke, die dort, wo sich einst die Zwillingstürme stolz erhoben hatten, über dem Boden waberte.
Anna schloss sich einer Gruppe Mitkämpfender an, die aus der Düsterkeit auftauchten. Ihre Gefährten sahen aus, als ob sie bereits einen Marathon hinter sich hatten, jedoch noch nicht an der Ziellinie angekommen waren. Da sie aus tiefer Dunkelheit heraustrat, konnte Anna es nicht ertragen, zur strahlenden Sonne aufzuschauen; selbst die staubbedeckten Lider zu öffnen, erforderte Anstrengung. Sie stolperte immer weiter, Zentimeter 76
um Zentimeter, Meter um Meter, hustete mit jedem Schritt Dreck und Staub aus und fragte sich, wie viel dieser schwarzen Schlacke noch in ihrem Körper sein mochte. Nach einigen weiteren Schritten fiel sie auf die Knie, überzeugt davon, dass die graue Wolke sie jetzt nicht mehr einholen konnte. Sie hustete, spuckte. Als Anna aufsah, entdeckte sie eine Gruppe entsetzter Zuschauer, die sie anstarrten, als wäre sie soeben von einem anderen Planeten gelandet.
»Waren Sie in einem der Türme?«, fragte einer der Umstehenden. Sie hatte nicht die Kraft zu antworten und beschloss, sich so weit wie möglich von den glotzenden Blicken dieser Menschen zu entfernen. Anna hatte erst ein paar Schritte gemacht, als sie auf einen japanischen Touristen stieß, der sich vor ihr verbeugte und versuchte, ein Foto von ihr zu schießen.
Wütend winkte sie ihn beiseite. Sofort verneigte er sich noch tiefer und
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