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Die Farbe der Gier

Die Farbe der Gier

Titel: Die Farbe der Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe der Gier
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stießen ein paar Leute zusammen, während andere weiterdrängten.
    Anna kam an einem alten Mann vorbei, der einen schwarzen Filzhut trug. Sie erinnerte sich, ihn im vergangenen Jahr mehrmals gesehen zu haben. Immer hatte er denselben Hut getragen. Sie lächelte ihm zu und er lüpfte seinen Hut.
    Anna kämpfte sich weiter voran. Manchmal konnte sie ein Stockwerk innerhalb weniger Sekunden zurücklegen, doch meistens wurde sie von jenen aufgehalten, die nach nur wenigen Stockwerken schon erschöpft waren. Die äußere Spur wurde immer voller und das machte es ihr unmöglich, die Geschwindigkeit zu erhöhen.
    Die erste klare Anweisung bekam Anna zu hören, als sie den 68. Stock erreichte.
    »Halten Sie sich rechts und bleiben Sie in Bewegung«, befahl eine autoritäre Stimme irgendwo unterhalb von ihr. Obwohl die Anweisung mit jeder Stufe lauter wurde, dauerte es noch mehrere Stockwerke, bis sie den ersten Feuerwehrmann entdeckte, der langsam auf sie zukam. Er trug einen ausgebeulten, feuerfesten Anzug und schwitzte heftig unter seinem schwarzen Helm mit der Nummer 28. Anna konnte sich nur staunend fragen, in welchem körperlichen Zustand er wohl nach weiteren 30 Stockwerken sein würde. Außerdem schien er enorm viel Gepäck mit sich zu schleppen: Zusammengerollte Seile über einer Schulter und zwei Sauerstoffgeräte auf dem Rücken – wie ein Bergsteiger, der den Everest erklimmen will.
    Ein weiterer Feuerwehrmann war dicht hinter ihm, mit einem langen Schlauch und einer großen Flasche Trinkwasser. Er schwitzte so sehr, dass er den Helm abnahm und sich etwas Wasser über den Kopf schüttete.
    61
    Die Menschen, die ihre Büros verließen und sich Anna auf dem Weg nach unten anschlossen, blieben überwiegend stumm, bis ein alter Mann vor ihr stolperte und auf eine Frau stürzte.
    Die Frau riss sich das Bein an der scharfen Kante der Treppenstufe auf und schrie den alten Mann daraufhin an.
    »Gehen Sie weiter«, rief eine Stimme hinter ihr. »Ich habe diesen Abstieg nach dem Attentat von 1993 gemacht und ich kann Ihnen versichern, Lady, das ist noch gar nichts.«
    Anna beugte sich vor, um dem alten Mann aufzuhelfen, was ihr eigenes Fortkommen behinderte, während andere in der Zwischenzeit an ihr vorbeikletterten.
    An jedem neuen Treppenabsatz starrte Anna durch die dicken Fenster und staunte, dass immer noch einige Angestellte an ihren Schreibtischen verharrten. Sie hörte auch Gesprächsfetzen durch die geöffneten Türen. Ein Broker im 62. Stock versuchte, einen Deal abzuschließen, bevor um neun Uhr die Märkte öffneten. Ein anderer starrte zu ihr hinaus, als ob die Fenster ein Fernsehbildschirm waren und er ein Footballspiel kommentierte; über Telefon gab er einem Freund im Südturm einen Zustandsbericht durch.
    Immer mehr Feuerwehrleute kamen ihr jetzt entgegen und verwandelten das Treppenhaus in eine Autobahn mit Gegenverkehr. Ihr ständiger Ruf lautete: »Halten Sie sich rechts, gehen Sie weiter.« Anna blieb in Bewegung, wobei ihre Geschwindigkeit oft vom langsamsten Mitstreiter bestimmt wurde. Obwohl das Gebäude nicht länger schwankte, konnte man die Anspannung und die Furcht immer noch in den Gesichtern lesen. Niemand wusste, was über ihnen geschehen war, und keiner ahnte, was sie unten erwartete. Anna fühlte sich schuldig, als sie eine alte Frau überholte, die von zwei jungen Männern in einem großen Ledersessel nach unten getragen wurde. Ihre Beine waren geschwollen, ihr Atem ging unregelmäßig.
    62
    Immer weiter stieg Anna nach unten, Stockwerk um
    Stockwerk, bis sie in den 50er-Stockwerken langsam ihre Erschöpfung spürte.
    Sie musste an Rebecca und Tina denken und betete, dass beide in Sicherheit waren. Sie fragte sich auch, ob Fenston und Leapman noch im Büro des Vorsitzenden saßen, in der festen Überzeugung, dass jede Gefahr an ihnen abprallen würde.
    Anna war allmählich zuversichtlich, dass sie sich nun in Sicherheit befand und irgendwann aus diesem Albtraum erwachen würde. Sie lächelte sogar über den New Yorker Humor, den sie um sich herum spürte, bis sie eine Stimme hinter sich aufschreien hörte.
    »Ein zweites Flugzeug ist in den Südturm gekracht!«
    63
    11
    JACK WAR über seine erste Reaktion entsetzt. Er hatte etwas gehört, das wie eine Bombenexplosion auf der anderen Straßenseite klang. Sally war hereingelaufen und hatte ihm erzählt, dass ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers geflogen war.
    »Wir wollen hoffen, dass es Fenstons Büro erwischt hat«, hatte

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