Die Farbe der Gier
Fernbedienung von ihrem Schreibtisch und zeigte damit auf den Fernsehbildschirm.
»Wollen Sie den van Gogh lagern?«, erkundigte sich Ken.
»Oder bringen Sie ihn nach Wentworth Hall zurück?«
»Er geht ganz bestimmt nicht nach Wentworth zurück«, erklärte Ruth. »Ich werde das Gemälde über Nacht in einer unserer zollfreien Hallen lagern und es in der ersten verfügbaren Maschine nach New York unterbringen, sobald der JFK-Flughafen die Einschränkungen aufhebt.« Ruth hielt inne.
»Könnten Sie ungefähr 30 Minuten, bevor Ihr Flugzeug landet, die Ankunftszeit durchgeben, damit ich einen meiner Laster bereitstellen kann?«
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»Wird gemacht«, versprach Ken.
Ruth legte den Hörer auf und sah zum Fernsehbildschirm hoch. Sie tippte die Zahl 501 in ihre Fernbedienung ein. Das erste Bild, das sie sah, zeigte ein Flugzeug, das in den Südturm flog.
Jetzt verstand sie, warum Anna auf ihren Anruf nicht geantwortet hatte.
Während Anna sich abtrocknete, spekulierte sie darüber, welchen Grund Tina haben könnte, weiter für Fenston zu arbeiten. Sie merkte, wie sie unwillkürlich den Kopf schütteln musste. Schließlich war Tina befähigt genug, um einen weitaus besseren Job zu ergattern.
Anna zog den Bademantel ihrer Freundin über, schlüpfte in deren Hausschuhe und legte die Silberkette mit dem Schlüssel wieder an, ebenso wie ihre stehen gebliebene Uhr. Sie betrachtete sich im Spiegel; die äußere Fassade hatte sich beträchtlich verbessert, aber Anna fühlte sich immer noch unbehaglich, wenn sie darüber nachdachte, was sie nur wenige Stunden zuvor durchgemacht hatte. Sie fragte sich, wie viele Tage, Monate, Jahre diese Erfahrung als wiederkehrender Albtraum auftauchen würde.
Anna öffnete die Badezimmertür und schlängelte sich durch den Flur, wobei sie die Aschefußabdrücke umging, die sie auf dem Teppich hinterlassen hatte. Als sie in die Küche trat, hörte Tina auf, den Tisch zu decken, und reichte ihr das Handy.
»Zeit, Victoria anzurufen und sie vorzuwarnen, was du im Sinn hast.«
»Was habe ich denn im Sinn?«, wollte Anna wissen.
»Als Erstes fragst du sie, ob sie weiß, wo sich der van Gogh befindet.«
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»Hinter Schloss und Riegel in einer zollfreien Halle in Heathrow, würde ich vermuten, aber es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Anna wählte die 00.
»Internationale Auskunft.«
»Ich benötige eine Rufnummer in England«, sagte Anna.
»Geschäftlich oder privat?«
»Privat.«
»Name?«
»Wentworth, Victoria.«
»Adresse?«
»Wentworth Hall. Wentworth, Surrey.«
Es herrschte lange Stille, bevor man Anna mitteilte: »Es tut mir Leid, aber die Nummer wurde aus dem Verzeichnis genommen.«
»Was soll das heißen?«, fragte Anna.
»Ich darf die Nummer nicht herausgeben.«
»Es handelt sich aber um einen Notfall«, insistierte Anna.
»Es tut mir wirklich Leid, aber ich darf die Nummer trotzdem nicht herausgeben.«
»Ich bin eine enge Freundin.«
»Und wenn Sie die Königin von England wären, ich
wiederhole, ich bin nicht befugt, diese Nummer
herauszugeben.« Die Leitung erstarb. Anna runzelte die Stirn.
»Wie sieht Plan B aus?«, hakte Tina nach.
»Ich habe keine andere Wahl, als selbst irgendwie nach England zu kommen und zu versuchen, mich mit Victoria zu treffen, damit ich sie vor Fenstons Machenschaften warnen kann.«
»Gut. Dann müssen wir als Nächstes entscheiden, welche Grenze du am Besten überschreitest.«
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»Was für eine Chance habe ich denn, überhaupt eine Grenze zu überschreiten, wenn ich nicht einmal zu meiner Wohnung zurückkomme, um meine Sachen zu holen – außer ich will, dass die ganze Welt erfährt, wie gesund und munter ich bin?«
»Mich hält nichts davon ab, in deine Wohnung zu gehen«, hielt Tina dagegen. »Sag mir, was du brauchst, dann packe ich eine Reisetasche und …«
»Es gibt nichts mehr zu packen«, fiel ihr Anna ins Wort.
»Alles, was ich brauche, steht schon im Flur bereit. Ich wollte doch heute Abend ohnehin nach London fliegen.«
»Dann brauche ich nur den Schlüssel zu deiner Wohnung«, meinte Tina.
Anna öffnete die Kette um ihren Hals und reichte ihr den Schlüssel.
»Wie komme ich am Türsteher vorbei?«, erkundigte sich Tina.
»Er wird wissen wollen, wen ich besuchen komme.«
»Das ist kein Problem«, erwiderte Anna. »Sein Name ist Sam.
Sag ihm, du willst David Sullivan besuchen, dann wird er lächeln und dir den Aufzug holen.«
»Wer ist David Sullivan?«, fragte Tina.
»Er hat eine Wohnung
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