Die Farbe der Gier
hing, schlug mit der geballten Faust auf die Kühlerhaube. In der anderen Hand hielt er eine Dose Bier, aus der Schaum schwappte. Anna wollte ihn gerade anbrüllen, als ihr klar wurde, dass gleichzeitig jemand anderes die Laderaumtür aufzuhebeln versuchte. Eine eiskalte Dusche hätte sie nicht schneller wecken können.
Anna krabbelte schnell auf den Fahrersitz und drehte den Schlüssel in der Zündung. Sie sah in den Seitenspiegel und entdeckte zu ihrem Entsetzen, dass ein weiterer 40-Tonner direkt hinter ihr stand und sie fast keinen Platz zum Manövrieren hatte. Sie drückte die Handfläche auf die Hupe, was den Mann mit der Bierdose nur dazu ermutigte, auf die Kühlerhaube zu klettern und sich an sie heranzurobben. Zum ersten Mal sah Anna sein Gesicht, während er sie durch die Windschutzscheibe dreckig angrinste. Ihr wurde kalt und speiübel. Er beugte sich vor, öffnete seinen zahnlosen Mund und leckte die Scheibe ab, während sein Freund weiterhin versuchte, mit Gewalt die Laderaumtür zu öffnen. Schließlich erwachte der Motor stotternd zum Leben.
Anna riss das Lenkrad herum, um den kleinstmöglichen Radius zu erreichen, aber der Platz zwischen den beiden Trucks gestattete ihr nur wenige Meter, bevor sie schon wieder einlenken musste. Eine Servolenkung gehörte nicht zur Ausstattung des Lieferwagens. Als Anna zurücksetzte, hörte sie einen Aufschrei von hinten, wo sich der zweite Mann zur Seite warf. Anna schaltete in den ersten Gang und presste ihren Fuß auf das Gaspedal. Als der Lieferwagen einen Satz nach vorn machte, glitt der bierbäuchige Typ von der Kühlerhaube und 119
schlug auf dem Boden auf. Anna riss die Gangschaltung nach hinten und betete, dass ihr dieses Mal genug Platz zur Flucht vergönnt sein würde. Doch bevor sie das Lenkrad ganz herumgerissen hatte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass der zweite Mann sie jetzt durch das Beifahrerfenster anstarrte.
Er krallte sich mit seinen beiden massigen Händen ins Dach und fing an, den Lieferwagen langsam hin und her zu schaukeln.
Anna presste den Fuß auf das Gaspedal und der Lieferwagen zog ihn langsam vorwärts, aber dennoch schaffte sie es nicht durch die Lücke, wenn ihr auch nur wenige Zentimeter fehlten.
Anna legte zum dritten Mal den Rückwärtsgang ein. Zu ihrem Entsetzen sah sie, wie die Hände des ersten Mannes wieder auf der Kühlerhaube auftauchten, während er sich auf die Beine hievte. Er warf sich nach vorn, presste seine Nase gegen die Windschutzscheibe und zeigte mit dem Daumen nach oben.
Dann brüllte er seinem Kumpel zu: »Diese Woche darf ich als Erster.« Sein Kumpel hielt kurz mit dem Schaukeln des Lieferwagens inne und lachte gröhlend auf.
Anna brach in kalten Schweiß aus, als ihr Blick auf den bierbäuchigen Mann fiel, der unsicher auf seinen Truck zuging.
Ein rascher Blick in den Seitenspiegel und sie sah, wie sein Kumpel in sein eigenes Führerhaus kletterte.
Anna brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, was die beiden planten. Sie sollte die Fleischfüllung in ihrem nächsten Sandwich werden. Anna trat so fest auf das Gaspedal, dass sie auf den Truck hinter ihr prallte, als er gerade seine Scheinwerfer aufleuchten ließ. Sie schaltete wieder in den ersten Gang, während der Motor des vorderen Trucks brüllend erwachte und eine Wolke aus schwarzem Rauch über ihre Windschutzscheibe pustete. Anna riss das Lenkrad ruckartig herum und schoss nach vorn, als der Truck vor ihr gerade in den Rückwärtsgang ging. Sie stieß mit der Ecke des massiven Kotflügels des vorderen Trucks zusammen, wobei erst ihre Stoßstange und gleich darauf ihr hinterer Kotflügel abgerissen 120
wurden. Der kleine Lieferwagen brach mit nur wenigen Millimetern Luft aus der Lücke heraus und drehte sich volle 360
Grad, bevor er zum Stehen kam. Anna sah zu den beiden Trucks, die nicht rechtzeitig reagieren konnten und aufeinander prallten.
Gleich darauf schoss Anna über den Parkplatz und bretterte an mehreren stehenden Trucks vorbei auf den Highway. Sie sah ständig in den Rückspiegel, während die beiden Trucks sich voneinander lösten. Das laute Quietschen diverser Bremsen und eine Kakophonie an Hupen erfolgte, als sie nur knapp an einem Strom von Autos vorbeischrammte, die über den Highway fuhren. Mehrere Fahrzeuge mussten ihr über zwei Spuren hinweg ausweichen. Ein Fahrer ließ seine Hand eine ganze Weile auf der Hupe, was Anna an seinen Gefühlen für sie keinen Zweifel hegen ließ. Anna winkte dem Fahrzeug,
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