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Die Farbe der Gier

Die Farbe der Gier

Titel: Die Farbe der Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe der Gier
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Wentworth-Anwesen zu tun haben, nach Wentworth Hall schicken.« Sie starrte auf den Anwalt hinunter. »Gleichzeitig legen Sie freundlicherweise Ihre allerletzte Rechnung bei …«, Sie sah auf ihre Uhr, »… für eine Stunde Ihrer wertvollen Zeit.«
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    ANNA MARSCHIERTE mitten auf der Straße, zog ihren Koffer hinter sich her, den Laptop über die linke Schulter gehängt. Mit jedem Schritt sah Anna deutlicher, wie die Insassen der stehenden Autos auf die merkwürdige, einsame Figur starrten, die an ihnen vorbeimarschierte.
    Die erste Meile dauerte 15 Minuten und eine der Familien, die sich auf dem Grasstreifen entlang der Straße zu einem Picknick niedergelassen hatte, bot ihr ein Glas Wein an. Die zweite Meile dauerte 18 Minuten, aber sie konnte den Grenzposten immer noch nicht ausmachen. Erst nach weiteren 20 Minuten kam Anna an einem Schild Noch eine Meile bis zur Grenze vorbei.
    Sie versuchte, schneller zu gehen.
    Die letzte Meile rief ihr in Erinnerung, welche Muskeln nach einem langen, anstrengenden Lauf schmerzten, doch dann sah sie die Ziellinie. Ein Schuss Adrenalin brachte sie dazu, an Tempo zuzulegen.
    Als Anna ungefähr 100 Meter von dem Grenzbaum entfernt war, vermittelten ihr die starrenden Blicke der Autoinsassen das Gefühl, sich in einer Schlange nach vorn gedrängelt zu haben.
    Sie wandte die Augen ab und ging etwas langsamer. Sie blieb an der weißen Linie stehen, an der jeder Wagen den Motor ausschalten und warten musste, und trat an die Seite.
    An diesem Tag schoben zwei Zollbeamte Dienst und mussten mit einer ungewöhnlich langen Schlange für einen
    Donnerstagmorgen fertig werden. Sie saßen in ihren kleinen Kabinen und prüften die Ausweispapiere jedes Einzelnen sehr viel dienstbeflissener als üblich.
    Anna versuchte, Augenkontakt mit dem jüngeren der beiden Beamten herzustellen in der Hoffnung, dass er Mitleid mit ihr 136
    haben würde, aber sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass sie nach all dem, was sie in den vergangenen 24 Stunden durchgemacht hatte, nicht sehr viel besser aussah als in dem Moment, als sie aus dem Nordturm geschwankt war.
    Schließlich winkte der jüngere der beiden Beamten sie zu sich.
    Er prüfte ihre Reisepapiere und sah sie neugierig an. Wie weit war sie mit ihren Koffern wohl schon gelaufen? Sorgfältig inspizierte er ihren Ausweis. Alles schien in Ordnung zu sein.
    »Aus welchen Grund wollen Sie nach Kanada einreisen?«, wollte er wissen.
    »Ich besuche ein Kunstseminar an der McGill University im Rahmen meiner Doktorarbeit über die präraffaelitische Bewegung.«
    Anna sah ihm in die Augen.
    »Welche Künstler im Besonderen?«, fragte der Beamte beiläufig.
    Ein Klugscheißer oder ein Fan. Anna beschloss mitzuspielen.
    »Rossetti, Holman Hunt und Morris, unter anderem.«
    »Was ist mit dem anderen Hunt?«
    »Alfred? Eigentlich kein echter Präraffaelit, aber …«
    »Aber ein ebenso guter Künstler.«
    »Da stimme ich Ihnen zu«, sagte Anna.
    »Wer hält das Seminar ab?«
    »Äh, Vern Swanson.« Anna hoffte, dass der Beamte von dem herausragendsten Experten auf diesem Gebiet noch nichts gehört hatte.
    »Prima, dann habe ich ja die Chance, ihn zu sehen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, wenn er immer noch Professor für Kunstgeschichte in Yale ist, dann wird er aus New Haven anreisen, nicht wahr, und 137
    da es keine Flüge in und aus den USA gibt, kann er nur hier die Grenze überqueren.«
    Anna fiel keine passende Antwort ein und sie war dankbar, dass sie von der Frau hinter ihr gerettet wurde, die in Richtung ihres Ehemannes mit lauter Stimme kommentierte, wie lange sie nun schon in der Schlange warten musste.
    »Ich war in McGill«, sagte der junge Beamte lächelnd und reichte Anna ihren Ausweis. Anna fragte sich, ob die Farbe ihrer Wangen ihre Scham verriet. »Es tut uns allen Leid, was da in New York passiert ist«, fügte er hinzu.
    »Danke«, sagte Anna und überquerte die Grenze. Willkommen in Kanada.

    »Wer ist da?«, verlangte eine anonyme Stimme zu wissen.
    »Es gibt einen Stromausfall im zehnten Stock«, sagte der Mann vor der Tür, der einen grünen Overall, eine Yankee-Baseballmütze und eine Werkzeugtasche trug. Er schloss die Augen und lächelte in die Sicherheitskamera. Als er den Türöffner summen hörte, drückte er die Tür auf und trat ohne weitere Fragen ein.
    Er ging an dem Aufzug vorbei und stieg die Treppe hoch. Auf diese Weise würden sich weniger Menschen an ihn erinnern. Er blieb stehen, als er in den zehnten Stock

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