Die Farbe der Gier
ihrem Lieblingsbild am oberen Ende der Treppe, einem Romney, Mrs.
Siddons als Portia. Sie drehte sich zum
Damenzimmer um und wurde von einem Gemälde von Srubbs begrüßt – Actaeon, Gewinner des Derbys, Sir Harry Wentworths Lieblingspferd, immer noch sicher in seiner Koppel. Wenn Victoria ihren Rat annahm, könnte sie zumindest den Rest der Sammlung retten.
Der Butler kehrte im selben getragenen Tempo zurück.
»Ihre Ladyschaft empfängt Sie«, sagte er. »Sie bittet Sie in den Salon.« Er verneigte sich leicht, bevor er sie quer durch die Eingangshalle führte.
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Anna versuchte, sich auf ihren Sechs-Punkte-Plan zu konzentrieren, aber zuerst musste sie darlegen, warum sie sich um 48 Stunden verspätet hatte, obwohl Victoria sicher die entsetzlichen Ereignisse am Dienstag mitbekommen hatte und vielleicht sogar überrascht sein mochte, dass Anna überhaupt noch lebte.
Als Anna in den Salon trat, sah sie Victoria, mit gesenktem Kopf und in Trauerkleidung, auf dem Sofa sitzen. Ein schokoladenbrauner Labrador ruhte im Halbschlaf zu ihren Füßen. Anna konnte sich nicht erinnern, dass Victoria einen Hund hatte, und war überrascht, als sie nicht auf ihre sonst übliche herzliche Weise aufsprang und sie begrüßte. Victoria hob den Kopf. Anna schnappte nach Luft, als Arabella Wentworth kalt zu ihr aufsah. In diesem Sekundenbruchteil wurde ihr klar, warum die Familienfahne auf Halbmast wehte.
Anna blieb stumm, während sie versuchte, die Tatsache zu verdauen, dass sie Victoria niemals wiedersehen würde und nun Überzeugungsarbeit an ihrer Schwester leisten musste, die sie nie zuvor getroffen hatte. Anna konnte sich nicht einmal an ihren Namen erinnern. Das Spiegelbild erhob sich nicht, bot ihr auch nicht die Hand zum Gruß.
»Wünschen Sie Tee, Dr. Petrescu?«, fragte Arabella mit einer distanzierten Stimme, in der die Hoffnung mitschwang, dass Anna »Nein, danke« antworten würde.
»Nein, danke.« Anna blieb stehen. »Darf ich fragen, wie Victoria gestorben ist?«, fragte sie leise.
»Ich dachte, das wüssten Sie bereits«, erwiderte Arabella lapidar.
»Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen«, erklärte Anna.
»Warum sind Sie hier, wenn nicht aus dem Grund, den Rest des Familiensilbers einzusammeln?«, wollte Arabella wissen.
»Ich bin gekommen, um Victoria zu raten, den van Gogh nicht abtransportieren zu lassen, bevor ich die Gelegenheit hatte …«
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»Das Gemälde wurde bereits am Dienstag abgeholt.« Arabella schwieg. »Man hatte nicht einmal den Anstand, bis nach der Beerdigung zu warten.«
»Ich habe versucht anzurufen, aber man wollte mir ihre Telefonnummer nicht gegeben. Wenn ich nur durchgekommen wäre«, murmelte Anna und fügte hinzu: »Und nun ist es zu spät.«
»Zu spät wofür?«, fragte Arabella.
»Ich habe Victoria eine Kopie meines Berichts geschickt und empfohlen, dass …«
»Ja, ich habe Ihren Bericht gelesen«, unterbrach Arabella.
»Aber Sie haben Recht, dafür ist es jetzt zu spät. Mein neuer Anwalt hat mich bereits gewarnt, dass es Jahre dauern kann, bevor die finanziellen Angelegenheiten geregelt sind. Bis dahin haben wir alles verloren.«
»Das muss der Grund gewesen sein, warum er nicht wollte, dass ich nach England reise und Victoria treffe«, meinte Anna, ohne sich näher zu erklären.
»Ich bin nicht sicher, ob ich Sie verstehe.« Arabella musterte sie.
»Ich wurde am Dienstag von Fenston gefeuert«, erläuterte Anna, »weil ich Victoria eine Kopie meines Berichts geschickt habe.«
»Victoria hat Ihren Bericht gelesen«, meinte Arabella leise.
»Ich habe einen Brief, in dem sie bestätigt, dass sie Ihrem Rat folgen wollte, aber das war vor ihrem grausamen Tod.«
»Wie ist sie gestorben?«, fragte Anna sanft.
»Sie wurde auf heimtückische und feige Art ermordet.«
Arabella schwieg, dann sah sie Anna an und fügte hinzu: »Und ich hege keinen Zweifel, dass Mr. Fenston Ihnen die Details erklären kann.«
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Anna senkte den Kopf, wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr Sechs-Punkte-Plan war ein Scherbenhaufen. Fenston hatte sie beide geschlagen.
»Die liebe Victoria war so vertrauensvoll und leider auch so naiv«, fuhr Arabella fort. »Aber kein Mensch verdient es, auf eine solche Weise behandelt zu werden, schon gar nicht jemand so Gutmütiges wie meine süße Schwester.«
»Es tut mir so Leid«, sagte Anna. »Ich hatte ja keine Ahnung.
Sie müssen mir glauben. Ich wusste von nichts.«
Arabella sah aus dem Fenster auf den Rasen und sagte eine Weile
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