Die Farbe der Gier
gekleideten jungen Mann, der im Duty-Free-Shop in ein Handy flüsterte. »Sie ist jetzt gelandet. Ich bin an ihr dran.«
Leapman machte es sich auf dem breiten Ledersitz bequem –
weit bequemer als alles, was sich in seinem Apartment in der 43rd Street befand. Die Stewardess servierte ihm auf einem Silbertablett schwarzen Kaffee in einer Porzellantasse mit goldenem Rand. Er lehnte sich zurück und dachte an die Aufgabe, die vor ihm lag. Er wusste, er war nur der Kofferträger, auch wenn sich an diesem Tag eines der wertvollsten Gemälde dieser Erde in dem Koffer befand. Wenn Fenston nur ein einziges Mal Leapmans Beitrag zum Erfolg der Firma anerkennen und auf seine Ideen so reagieren würde, als ob er ein geachteter Kollege wäre und kein bezahlter Lakai –
nicht, dass er sehr gut bezahlt würde; wenn Fenston nur hin und wieder ein Dankeschön über die Lippen brächte – das wäre schon genug. Zugegeben, Fenston hatte ihn aus der Gosse geholt, aber nur, um ihn in eine andere zu werfen.
Leapman diente Fenston nun schon zehn Jahre und hatte beobachtet, wie der naive Immigrant aus Bukarest die Leiter von Wohlstand und Status hochgeklettert war – eine Leiter, die er festgehalten hatte, während er selbst nichts weiter als ein Helfershelfer blieb. Aber das konnte sich über Nacht ändern. Sie mussten nur einen einzigen Fehler machen und schon würden sich ihre Rollen umkehren. Dann würde Fenston im Gefängnis landen und er, Leapman, hätte ein Vermögen zur Verfügung, dem niemand jemals auf die Spur kommen konnte.
»Möchten Sie noch etwas Kaffee, Mr. Leapman?«, fragte die Stewardess.
148
Anna brauchte keine Landkarte, um den Weg nach Wentworth Hall zu finden, obwohl sie darauf achten musste, auf den zahllosen Kreisverkehren unterwegs nicht versehentlich die falsche Abfahrt zu nehmen.
40 Minuten später fuhr sie durch die Pforten des Anwesens.
Vor ihrem Besuch auf Wentworth Hall hatte Anna nichts über die Barockarchitektur gewusst, die die Landsitze des aristokratischen England im späten 17. und frühen 18.
Jahrhundert dominierte. Der Klotz – wie Victoria ihr Heim nannte – war 1697 von Sir John Vanbrugh erbaut worden. Es war seine erste Auftragsarbeit, bevor er Castle Howard schuf und später Blenheim Palace für einen weiteren triumphal heimgekehrten Soldaten – danach wurde Vanbrugh der gefragteste Architekt Europas.
Die lange Auffahrt zum Schloss lag im Schatten
eindrucksvoller Eichen, die aus demselben Jahr wie Wentworth Hall selbst stammten, obwohl jetzt Lücken klafften, wo einzelne Bäume den gewaltigen Stürmen von 1987 erlegen waren. Anna fuhr an einem Zierteich voller Magoi Koi-Karpfen vorbei –
Einwanderer aus Japan – sowie an zwei Tennisplätzen und einem Crocketfeld, auf dem die ersten Herbstblätter lagen. Dann bog Anna um eine Kurve und das große Gebäude, umgeben von 400 grünen englischen Hektar Grundstück, ragte in den Himmel auf.
Victoria hatte Anna einmal erzählt, dass das Schloss über 67
Zimmer verfügte, 14 davon Gästezimmer. Das Schlafzimmer, das ihr im ersten Stock zugewiesen worden war – das van Gogh Zimmer –, hatte ungefähr dieselbe Größe wie ihr gesamtes Apartment in New York.
Als Anna sich Wentworth Hall näherte, fiel ihr auf, dass die Fahne mit dem Familienwappen am Ostturm auf Halbmast wehte. Als sie den Wagen zum Stehen brachte, fragte sie sich, 149
welcher von Victorias zahllosen ältlichen Verwandten gestorben sein mochte.
Die massive Eichentür wurde aufgezogen, noch bevor Anna die oberste Stufe erreicht hatte. Sie betete, dass Victoria zu Hause sein möge und dass zugleich Fenston immer noch keine Ahnung hatte, dass sie sich in England befand.
»Guten Morgen, Madam«, intonierte der Butler. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ich bin’s, Andrews, wollte Anna sagen, überrascht von seinem formellen Tonfall. Er war während ihres Aufenthalts im Schloss so herzlich gewesen. Sie hielt sich an seinen formellen Ansatz.
»Ich muss mit Lady Victoria sprechen. Dringend.«
»Ich fürchte, das ist nicht möglich«, erwiderte Andrews.
»Aber ich werde fragen, ob Ihre Ladyschaft Zeit hat. Vielleicht wären Sie so freundlich, hier zu warten, während ich mich erkundige.«
Was meint er damit, das wird nicht möglich sein, aber ich werde fragen, ob Ihre Ladyschaft …
Während Anna in der Eingangshalle wartete, sah sie zu Gainsboroughs Portrait von Lady Catherine Wentworth auf. Sie erinnerte sich an jedes Gemälde im Haus. Ihr Blick wanderte zu
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