Die Farbe Der Leere
die Sicherheitsgurte anlegten. Sie spürte, wie das Gewicht der Verantwortung für Joses Unversehrtheit an diesem Abend auf ihr lastete, und war nicht sicher, ob sie das wirklich so haben wollte.
»Holen wir Pizza?«, fragte Jose.
»Wir besorgen uns auf jeden Fall etwas zu essen. Aber es muss nicht unbedingt Pizza sein, oder?«
Die Enttäuschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, aber er zuckte die Achseln.
»Ich kenne ein Restaurant in Belmont, ein echter Italiener«, lockte sie.
»In Belmont?«
»Genau. Warst du da schon mal, an der Arthur Avenue, wo das italienische Brot herkommt?«
»Nee.«
»Du hast dein ganzes Leben in der Bronx verbracht und warst noch nie in der Arthur Avenue italienisch essen?«
»Warum glauben Sie bloß, dass Sie so viel über die Bronx wissen?«
»Ich lebe hier.«
»Nein, tun Sie nicht. Jonnie hat mir erzählt, Sie wohnen in Manhattan.«
»Na ja, früher schon, aber ich bin umgezogen.«
»Ach ja? In welches Viertel denn?«
»Riverdale.«
»Riverdale, das zählt doch nicht. Wieso erzählen Sie den Leuten, Sie leben in der Bronx? Bilden Sie sich ein, jemand glaubt, Sie wären aus dem Kiez?«
Ein uninspiriertes, dilettantisches Wandgemälde des Kolosseums erstreckte sich über die Wand hinter ihrem Tisch. Jose hatte sich auf ihren Vorschlag eingelassen, etwas Neues zu versuchen, und Spaghetti mit Fleischklößchen bestellt. Der Kellner kam mit einem Körbchen voller Brot. Der gesamte Inhalt verschwand binnen weniger Augenblicke in Joses Mund.
Diese Nahrung schien ihn so weit aufzumuntern, dass er aus seiner Schmollecke herauskam. Er beantwortete ihre Fragen nach der Schule.
Als der riesige, mit Pasta und Soße überladene Teller vor ihm platziert wurde, aß er geradezu fieberhaft, bis der Teller restlos geleert war.
»Dein Mittagessen muss ja länger her sein«, bemerkte sie in einem weiteren Versuch, ihn freundlich zu necken, aber er starrte sie nur verwirrt an. »Ich meine, du hattest anscheinend Hunger«, fügte sie lahm hinzu.
»Nee, Mann, es gab doch Abendbrot im Heim, kurz bevor Sie kamen.«
Es hatte etwas Tröstliches, einem Teenager gegenüberzusitzen, der mit so offensichtlicher Lust am Essen Berge vertilgte. Sie trank ihren Rotwein, sah ihm zu und war fast glücklich.
Der Kellner kam wieder, um die Bestellungen für den Nachtisch entgegenzunehmen, und diesmal holte Jose ihren Rat ein. Er bestellte Tartufo. Dann ließ er sich mit offenkundiger Befriedigung in seinen Sitz zurücksacken.
Anscheinend war er jetzt bereit, sich dem ernsten Teil zu widmen. »Ich hab mal ein bisschen nachgeforscht«, verkündete er.
»Was?«, fragte sie.
»Na, ich such doch nach dem Typ, der Jonnie gekillt hat.«
Sie fühlte sich, als würde unvermittelt Wasser über ihrem Kopf zusammenschlagen. Sie hatte wirklich die Nase voll von Jungs, die sich in Gefahr begaben. Ihre Stimme klang ruhig, obwohl sie es nicht war. »Was hast du gemacht?«
»Ich hab mir überlegt, Jonnie hatte doch einen neuen Freund, bevor er starb. Also hab ich versucht rauszukriegen, ob bei dem anderen Jungen, Craig, so was Ähnliches los war. Ich hab ein bisschen rumgefragt, dann bin ich los und hab seinen Kiez abgecheckt. Hab da ein bisschen rumgehangen. Ich hab Craigs Freundin angezapft.«
Katherine musste sich Mühe geben, um nicht ängstlich zu klingen. »Und?«
»Und sie sagt, Craig hing mit 'nem neuen Kumpel ab, kurz bevor er umgebracht wurde.«
»Was hat sie noch gesagt?«
»Sie hat nicht so viel erzählt. Ich konnte ihr ja nicht sagen, dass ich vermute, der Typ hat sich auch bei 'nem anderen Jungen rumgedrückt, der umgebracht wurde, oder? Ich muss diskret vorgehen, ist doch klar.«
»Kennt sie den Namen? Von dem neuen Freund?«
»Nee, man nennt ihn wohl Shark, das war alles, was sie wusste. Sie hat ihn einmal gesehen. Craig hat davon aber nichts mitgekriegt, sagt sie. Sie war nämlich mit einem von Craigs Jungs unterwegs und wollte nicht, dass Craig merkt, dass sie ihn betrügt, also konnte sie ihn auch nicht fragen, wer das war oder sonst was.«
»Hat sie dir erzählt, wie er, wie Shark aussieht?«
»Er ist 'n großer schwarzer Kerl, sagte sie, sieht cool aus und alles. Sie meint, sie erkennt ihn wieder, wenn sie ihn sieht.«
Sie musste behutsam vorgehen. »Jose, du weißt doch, dass du das unbedingt den Detectives erzählen musst?«
Er machte ein finsteres Gesicht.
»Ich dachte, du kommst mit Detective Malone ganz gut klar?«
Er zuckte verächtlich die Achseln.
»Also, pass mal
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