Die Farbe der Liebe
und Söckchen von den Füßen streifte und in eine Ecke schleuderte.
»Die Gänseliesel natürlich«, erwiderte das Mädchen, dem offenbar niemals schwindlig wurde, denn sie drehte sich immer weiter im Kreis. Unter ihrer Bluse war sie nackt, sodass ihre Brüste im Takt der Musik mitschwangen. Ihre Nippel, die sich unter dem hauchdünnen Stoff deutlich abzeichneten, waren von einem tiefen Braun, ebenso ihre Haare und ihre Augen.
Aurelia stellte sich mit beiden Füßen fest auf den Steinboden und spreizte die Zehen. Als die Musik bis in ihre letzte Faser drang, merkte sie, dass ihr Körper sich ganz von selbst in Bewegung setzte. Sie gesellte sich zu den anderen Tänzern, hob die Arme über den Kopf und ließ sich von dem Nächstbesten um die Taille fassen und drehen, sodass ihr Rock hochflog und ihr Umhang flatterte und sich sogar einmal im Horn eines der Satyr-Jungs verfing und einriss. Doch solange die Musik spielte, scherte Aurelia sich nicht darum.
Ein neues, schnelleres Stück setzte ein, und wieder begannen sich die Tänzer zu drehen. Die Kerzen flackerten, immer mehr Schatten zuckten über die Wände. Aurelia wurde müde und schwindlig. Hätte sie innegehalten, so wäre ihr aufgefallen, dass sie sich völlig berauscht fühlte, obwohl sie in dem Rosenwassersirup keine Spur von Alkohol geschmeckt hatte. Sie schwitzte und war durstig, konnte jedoch den Wolf mit der Karaffe nirgends entdecken. Sie versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, um wenigstens ein Glas Wasser aufzutreiben, aber sie kam nicht voran.
Also ging sie in die andere Richtung und stand plötzlich vor einer schweren Holztür. Als sie sie öffnete, fuhr ihr ein erfrischender Schwall kühler Nachtluft über die Haut und zerzauste ihr das Haar. Die Ringellöckchen hatten sich mittlerweile ausgehängt, und ihre Haare fielen wieder natürlich glatt. Da der Wind heftig wehte, zerrte er an ihr mit einer gewissen Kraft, die sie genoss. Seit jenem Abend auf dem Jahrmarkt und dem Kuss des Fremden empfand sie sogar den stürmischen Seewind, wie er meist in Leigh blies, als angenehm.
Aurelia trat auf die Wiese. Als ihre nackten Zehen ins taunasse Gras einsanken, überlegte sie kurz, ihre Schuhe zu holen. Doch ein Blick zurück auf die dampfenden, zuckenden Körper, zwischen denen sie sich hindurchkämpfen müsste, brachte sie gleich wieder davon ab. Sie wusste ja nicht einmal mehr genau, wohin sie ihre Ballerinas geworfen hatte.
Am Himmel zeichnete sich klar die Sichel des Neumonds ab. Die Nacht war jung und voller Verheißungen.
Als sie ein Stück entfernt ein kleineres Gebäude entdeckte, ging sie darauf zu. Es sah aus wie eine geschrumpfte Ausgabe der ersten Kapelle, ein Kirchlein im Miniaturformat. Aurelia kniff die Augen zusammen. Ob sie wohl in der Dunkelheit noch eine kleinere und dann eine weitere entdecken würde, wie bei den russischen Babuschka-Puppen? Doch hinter den Steinmauern des Kirchleins erhob sich lediglich ein hoher Holzzaun.
Niedrige Bäume und Sträucher standen drumherum, und Aurelia hörte es in den Blättern rascheln und knacken. Die üblichen Nachtgeräusche, versuchte sie sich zu beruhigen, nur ein Igel und der Wind. Dennoch warf sie einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass sie allein war. Noch immer tanzten Schemen um sie herum, wie im Saal, wo die Schatten der tanzenden Partygäste an den Wänden sie an ein chinesisches Schattenspiel erinnert hatten. Doch hier draußen im Dunkeln fand sie es ziemlich unheimlich, rannte daher zu dem Kirchlein und stieß die Tür auf.
Zu ihrer Überraschung öffnete sie sich leicht und ohne auch nur in rostigen Angeln zu quietschen. Erleichtert tastete sie nach einem Lichtschalter, griff aber immer wieder ins Leere. Leise Panik stieg in ihr auf. Schließlich setzte sie sich einfach auf den kalten Steinboden, lehnte sich an eine Wand und umschlang die Knie, um sich zu beruhigen und damit ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten.
Die Steinplatten unter ihr waren kalt, strahlten jedoch jenen Frieden aus, der uralten Dingen häufig eigen ist – als würden sie hier schon so lange liegen, dass sie längst Teil der natürlichen Umgebung geworden waren.
Aurelia entspannte sich, und je länger sie ganz ruhig und still dasaß, desto deutlicher nahm sie ihre Empfindungen wahr. Sacht strich sie über die Steinplatten und ertastete mit den Fingerkuppen die Unebenheiten. Sie spürte, dass in der Kapelle je nach Höhe unterschiedliche Temperaturen herrschten und warme Schichten
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