Die Farbe der Liebe
Sie trugen auch keine schmutzig graue, zerschlissene Kluft, sondern samt und sonders knallrote Hosen und Jacken mit glänzenden Messingknöpfen und feschen Mützen. Sie erinnerten eher an Portiers eines Luxushotels als an Matrosen und Schiffsjungen. Laut stritten sie darüber, wohin sie einzelne Stücke der Ladung und Dekorationen nun schaffen sollten.
Das alles war für den Ball, erkannte Thomas. Wild hämmerte ihm das Herz in der Brust. Die Gerüchte erwiesen sich also als wahr! Die Gäste waren bereits an Bord und machten sich in ihren Kabinen fertig. Die rot livrierte Mannschaft würde in den nächsten Stunden damit beschäftigt sein, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Um Mitternacht sollten die Feiern beginnen und im Morgengrauen mit einer mysteriösen Zeremonie enden, über die alle nur ehrfurchtsvoll raunten.
Mehrere Stunden lang machten sich die Arbeiter in seiner unmittelbaren Nähe zu schaffen. Früher oder später würden sie sein Versteck entdecken. Schließlich nahmen sie sich auch die Kisten vor, hinter denen er sich verborgen hielt; doch es gelang ihm im letzten Moment, hinter einen Vorhang zu kriechen. Als er einen Blick auf den Inhalt der letzten Kiste erhaschte, bevor sie weggetragen wurde, bekam er große Augen: Sie war voller Penisse der unterschiedlichsten Art – aus Holz, Elfenbein, einer offenbar sogar aus Gold, und in den merkwürdigsten Formen, wie Thomas sie noch nie gesehen hatte. Einige glichen Ungeheuern und hatten Furchen am Schaft, andere erinnerten an Wesen der Lüfte und des Meeres. Einer war wie ein menschlicher Arm geschnitzt und beinahe auch so groß.
Thomas packte der Wunsch, ein solches Stück an einem hingebungsvollen Leib zu versuchen. Er schloss die Augen und überließ sich der Erregung, die in seinen Adern pochte und ihm das Gefühl gab, so lebendig zu sein. Er stellte sich vor, dass eine Frau mit weit gespreizten Beinen vor ihm lag, vielleicht sogar ans Bett gefesselt, und ihn erwartungsvoll anflehte, mit Kraft in sie hineinzustoßen, was immer er in sie hineinstoßen wollte.
Thomas liebte es, Frauen zu beherrschen und ihre Schreie zu hören, wenn sie sich ganz und gar ihrer Lust hingaben. Weil er einen weiblichen Körper hatte, aber sich wie ein Mann verhielt, waren die Frauen ehrlicher zu ihm. Sie offenbarten ihm ihre Träume, mit breit gespreizten Beinen heftig rangenommen zu werden, wie es ihre Ehemänner oder auch die Freier mit ihren Schwänzen aus Fleisch und Blut einfach nicht taten – oder nicht konnten, weil sie irgendwann schlappmachten.
Nach dem wenigen, was er bei seinen Nachforschungen herausgefunden hatte, konnte Thomas sich in etwa vorstellen, wie die Besucher des Balls gekleidet sein würden. Allerdings hatte es sich recht fantastisch angehört, und nun, da der große Moment unmittelbar bevorstand, wollten seine Nerven nicht mehr mitspielen. Er hatte nur die allerwichtigsten Accessoires dabei: eine saubere hellgelbe Krawatte und eine Messingnadel in Form eines Pfaus, die er aus der Schublade eines Studenten gestohlen hatte. Doch in der staubigen Hose und dem schmutzigen Hemd, die er auf der Reise getragen hatte, konnte er unmöglich den Ballsaal betreten. Man würde ihn sofort als Eindringling erkennen.
Es gab nur eine Möglichkeit. Als die Arbeiter verschwunden waren, durchwühlte er die zurückgelassenen Kisten, bis er saubere rote Ersatzuniformen und darunter eine gefunden hatte, die ihm halbwegs passte. Eigentlich hätte das gereicht, aber Thomas hatte es satt, nur als Randfigur am Leben teilzunehmen. Keinesfalls wollte er den Abend als Lakai verbringen.
Es war Mitternacht. Die Gäste hatten sicherlich schon längst ihre Kabinen verlassen und sich zum Oberdeck begeben, wo der Ball vermutlich stattfand. Nachdem Thomas in die Uniform geschlüpft war, schnappte er sich einen Stapel sauberes Bettzeug und ging nach oben, wo er die Passagierkabinen vermutete. Dort öffnete er geschickt einige Türen und stahl sich aus verschiedenen Kabinen etliche Dinge zusammen. Dazu gehörten eine knöchellange graue, gebügelte Hose mit breitem Aufschlag, ein Doppelreiher mit hoch angesetztem, breitem Revers und schließlich groteske kanariengelbe Strümpfe, die ausgezeichnet zu seiner Krawatte passten. Es war natürlich riskant, in den gestohlenen Sachen vor aller Augen umherzu spazieren, andererseits würde es Leuten, die so reich waren, vermutlich gar nicht auffallen. Es war also kaum zu erwarten, dass ihn jemand in aller Öffentlichkeit des Diebstahls
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