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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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eine Silberkette mit Granatsteinen. Ich band das Haar zu einem französischen Knoten hoch und fuhr nach Vegas, um mich im Luxor mit Pauley zu treffen.
    Auf einer Erhöhung des Wüstenrandes wurde ich langsamer und sah die Stadt unter mir ausgebreitet. Falsch-Venedig, Falsch-Paris, Falsch-New-York, alle dicht an dicht zusammen. Die schwarz-goldene Pyramide des Luxor stieß hinauf in den luftleeren Himmel wie die Spitze eines zu weit eingeschlagenen Schusternagels.
    Babylon. Babylon. Reißt es nieder.
    Ich sah Flugzeuge von Osten heranfliegen und einschwenken, um auf der Landebahn tief unterhalb der Stelle zu landen, wo mein Wagen rastete. Bei jedem herannahenden Flugzeug spürte ich ein Prickeln, ein tiefes Beben im Herzen. Ich wusste jetzt, welche Zerstörung jeder einzelne von diesen Jets anrichten konnte. Doch an diesem Abend landeten sie alle still und leise.
    Jetzt brummten und hämmerten Baumaschinen, und Fahnen aus Steinstaub entrollten sich und trieben über die falsche Oase unter mir. Das herbeigepumpte Wasser des
Bellagio
schimmerte in der untergehenden Sonne. Nachdem ich den Motor meines Wagens abgestellt hatte, kam es mir so vor, als könnte ich das Grundwasser hören, das unter dem Wüstenboden weggesaugt wurde. Man sagt, die Aquifere in der Tiefe werden bald komplett trockengelegt sein, und ich bin sicher, wenn das passiert, werden sie aufplatzen und Risse und Spalten bilden, in denen die ganze Stadt versinkt, die ich da vor mir ausgebreitet sah. Und weil meine Jahre zahllos sind, bin ich sicher, dass ich das noch erleben werde.
    Ich steuerte meinen Wagen um die künstliche Sphinx herum. In der Auffahrt des Luxor warf ich meinen Schlüssel einem Hoteldiener zu, der mir hinterherschaute, als ich auf meinen Stilettos klackernd davonstöckelte; einen Moment lang spitzte er die Lippen, als wollte er pfeifen, da wusste ich, dass ich meine Sache richtig gemacht hatte. Ich hatte kein Gepäck, bloß ein perlenbesetztes Täschchen. Das Kleid war schulterfrei, rückenfrei, frei auf jede erdenkliche Weise. Es bedeckte nur wenige kleine Bereiche meiner Haut wie Farbkleckse.
    Ich schlenderte ein paar Minuten ziellos durch das Atrium, blieb kurz vor der Zeltshow mit den unechten Schätzen von König Tut stehen. Als ich das Gefühl hatte, von genug Männern bemerkt worden zu sein, ging ich nach oben ins Zimmer.
    Pauley hatte die Lampen gedimmt und die lichtdichten Vorhänge geschlossen. Blumen und eine bunte Obstschale standen herum. Wir hatten uns seit zwei Monaten nicht gesehen, vielleicht auch drei. Er hatte einen goldgeränderten Spiegel von der Wand genommen und auf den Couchtisch gelegt, um darauf Kokslinien zu ziehen.
    Er lächelte, als er mich sah, breitete die Arme weit aus. Aber ich stand auf der anderen Seite des Zimmers. Er begrüßte das Bild von mir, berührte noch nicht mein Fleisch ...
    »Bellissima«, sagte er. »Möchtest du an der Blume riechen? Ein bisschen koksen?« Er hielt mir den zusammengerollten Hundertdollarschein hin. Ich bückte mich, sah mit einem Auge zu, wie das Pulver durch das Röhrchen in mein Nasenloch rauschte. Pauleys rechte Hand ruhte beiläufig auf meinem Hintern. Ich setzte mich auf die dicken Lederpolster der Couch, um ihn eine Line ziehen zu lassen. Auf dem Flachbildfernseher, der wie ein weiterer Spiegel an der Wand hing, liebkoste irgendein sorgengrauer Nachrichtenmoderator mit stummen Lippen die letzten Sätze einer Meldung.
    »Nimm die andere Seite«, sagte Pauley, und ich folgte seinem Rat, beugte mich über eine Pulverlinie auf dem Spiegel und zog sie mir heftig rein, diesmal ins linke Nasenloch.
    Pauley nahm noch eine Line, holte dann für mich und sich je ein Flugzeugfläschchen Grey-Goose-Wodka aus der Minibar. Er goss die Drinks in zwei Wassergläser und drückte einen Knopf auf der Fernbedienung. Die empörte Stimme des Sprechers ertönte: »Der Mitarbeiter einer Boulevardzeitung wurde ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem er Anthrax eingeatmet hatte. Bei drei Nachrichtenagenturen und der New York Post sind ebenfalls Briefe eingegangen, die waffenfähiges Anthrax in Form eines weißen Pulvers enthielten. Vermutlich kommen alle diese Briefe ...«
    Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen. Das Koks begann, mir in die Kehle zu tropfen, und ich spülte es mit Wodka runter, der von der Minibar gekühlt war, aber nicht kalt genug. Pauley hatte wohl wieder die Stummtaste gedrückt, denn die Fernsehstimme erstarb.
    »Vafanculo«, hörte ich ihn murmeln. »Ich liebe dieses

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