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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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in mich hineinzublicken, die ganze Geschichte zu lesen, die in mein Innerstes gemeißelt war, sodass ich das Gefühl hatte, er wüsste es wirklich.
    »Ich kann das für dich zerschlagen«, sagte D. »Wenn du mich lässt.«
    Er berührte mich ein bisschen mehr, drängte mich rückwärts gegen den Kamin. Ich spürte den rauen Stein an meinem nackten Rücken und an der Rückseite meiner Beine, meine ganze Nacktheit drückte gegen den Stein, und ich weiß bis heute nicht, wie es dazu kam, denn ich hatte bestimmt etwas angehabt, als ich zu ihm gegangen war.
    »Ich werde dein Bruder für dich sein«, sagte D. »Lässt du mich?«
    Dann kam der Efeu kochend aus den Ritzen im Mauerwerk und schlang sich um meine Glieder und fesselte sie, der Efeu kroch über mich wie eine Schlangenhaut, und D. war überall in mir, nicht bloß in den Börsen, sondern auch in meinem Gehirn und meiner Blutbahn, wir waren so vollständig ineinander, dass es schien, als könnten wir uns nie voneinander lösen, und ich schrie mein Einverständnis so laut hinaus, dass man es noch auf dem Highway hätte hören können.
    Es war schwierig, danach zu Laurel zurückzukehren, weil das keine herkömmliche Nummer gewesen war. D. hatte tatsächlich etwas in mir zerschlagen, hatte mich in einer Art und Weise erkannt, wie es kein Fremder konnte, hatte eine Stelle in mir besetzt, die zuvor nur mein Bruder berührt hatte. Eine Stelle, die Laurel nicht wirklich erreichen konnte.
    Und natürlich wusste ich, dass auch Laurel ihr Ding mit D. hatte. Von nun an würde das zwischen uns liegen.

31
    Marvin gefiel mein Smiley-Gesicht nicht, obwohl es schon halb verheilt war, als ich wieder zur Arbeit ging, eigentlich waren nur noch bräunliche Kratzer zu sehen. Bloß oberflächlich ...
    »Das ist mein besseres Ich«, erklärte ich dem Saalchef. »Ich nenne es Charlie Brown. Du nervst doch immer damit, dass ich nicht genug lächle.«
    »Hör mal, Mae, das hier ist ...«
    »Was denn?« sagte ich. »Ein Familienrestaurant? Es ist ein Kasino, Marvin. Die Kunden kommen rein, wir nehmen ihnen ihr Geld ab.«
    Marvin wurde sauer. Ich weiß nicht, warum ich nicht irgendwas drübergezogen hatte – aber was? Einen viktorianischen Stehkragen? Eine Halskrause wie bei einem Schleudertrauma?
    »Zieh was drüber oder fahr nach Hause«, sagte er. »Aber wenn du fährst, kriegst du kein Geld.«
    Ich hatte schon den Mund offen, um irgendwas zu sagen, was ich später bestimmt bereut hätte, zumindest vom beruflichen Standpunkt aus betrachtet. Wenn ich den Job hinschmiss, musste ich vermutlich den ganzen Weg bis Vegas fahren, um ein Kasino zu finden, das mich einstellte. Aber Tammy schob sich von hinten an mich heran und hängte mir ein blaues Chiffontuch um die Schultern, schüttelte es auf und zupfte es zurecht, bis es an meine Kieferpartie reichte.
    »Das genügt mir«, sagte Marvin.
    Er hob eine Augenbraue, und ich nickte.
    Sobald er sich abgewendet hatte, kam Tammy herum, baute sich vor mir auf und fixierte das Tuch, sodass es nicht verrutschte. Ich dankte ihr. Es war nobel von ihr, denn wenn ich nach Hause gefahren wäre, hätten sie ihr wahrscheinlich meinen Tisch gegeben. Sie setzte ein dünnes Lächeln auf und verschwand.
    Ich arbeitete meine Schicht. Die üblichen Kunden. Manche Stammgäste, manche nicht. Es war nervig, beim Kartengeben das Tuch so festzuhalten, dass es die Wunde verdeckte. Ich glaube, Karl bekam Charlie Brown unter oder über dem blauen Chiffon kurz zu sehen, oder vielleicht hatte er auch meine Auseinandersetzung mit Marvin aus dem Hintergrund beobachtet.
    »Hey, Mae, blutest du gern?« Seine Stimme, so wurde mir unangenehm klar, erinnerte mich an Arnold Schwarzenegger. »Wann kommst du mit mir nach Hause?«
    Ein ganz leises Zucken fuhr durch mein Blut, als hätten Karl und ich doch etwas gemeinsam. Ich ignorierte es.
    »Ich fahr Tammy nach Hause«, erwiderte ich und zeigte ihm meine Zähne. »Ihr Auto ist in der Werkstatt.«
    Ich hätte Charlie Brown ein Gebiss ritzen sollen, dachte ich in dem Moment. Vielleicht nächstes Mal.
    Tammys Auto war tatsächlich in der Werkstatt, und ich bot ihr an, sie nach Hause zu fahren. Ich war dankbar, dass sie die Sache mit Marvin entschärft hatte. Das war einer der Gründe. Sie wohnte in Paradise Hills, ein paar Meilen nördlich Richtung Vegas, was für mich aber kein großer Umweg war.
    Ich trug noch immer das Tuch, als wir in den Wagen stiegen, aber es war ein Stück heruntergerutscht. Tammy schielte kurz auf das

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