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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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hängte ich meine Hand über den Rand und schnitt ein langes, sich verbreiterndes V in das stille künstlich-blaue Wasser.
    Es schien überhaupt keinen Weg heraus zu geben. Später spazierten wir die Fremont Street hinunter, starrten staunend hoch zu der Lichtshow, die durch die Drahtrauten des geschwungenen, den richtigen Himmel aussperrenden Baldachins blitzte. Der Schmerz erreichte mich allmählich wieder, selbst durch das Heroin hindurch, mit dem das Koks versetzt war, wahrscheinlich klang die Wirkung ab. Wir schafften es vor Tagesanbruch zurück ins Luxor, wo es eine weitere Dosis gab und noch mehr. Sobald ich mich besser fühlte, fickten wir wieder, in künstlicher Dunkelheit hinter den schweren Vorhängen, ein roter Schal war um eine der Lampen gewickelt, die Pauley vom Nachttisch auf den Boden gestellt hatte. Zwischendurch schlief ich, unruhig von den vielen Drogen, und träumte von Puderwolken aus schneeweißem Anthrax.

29
    O. folgte Eerie über den Styx und weckte sie auf ihrer Totenbahre und führte sie für eine kurze Weile zurück in das Licht und die Wärme und die Sonne. Aber Eerie hatte von der Speise der Toten gegessen, und so musste sie in den Schatten und die Kälte zurückkehren, um auf ewig dort zu bleiben ...
    Eύρυδíκη!, klagte da O., Eύρυδíκη ... das war ihr geheimer Name. Dieselben vier Silben, die ich noch immer manchmal höre, als Ruf in der Wüste.
    Nachdem O. Eerie endgültig verloren hatte, sang er, wir sollten unsere Eltern töten. Aber das hatten wir schon getan, mein Bruder und ich – mit unseren Taten.

30
    »Ich glaube, du bist ziemlich auf deinen Bruder fixiert«, erklärte D., kaum dass Laurel aus dem Zimmer gegangen war. Es überraschte mich, dass er so etwas sagte – es brachte mich wirklich irgendwie aus der Fassung. Sein üblicher Spruch bei den Mädchen war, sie wären auf ihre Väter fixiert. Eine billige Masche – du musstest nicht Sigmund Freud sein, um zu ahnen, dass die meisten in dieser zerlumpten Truppe von Ausreißern, die D. um sich versammelte, irgendwann irgendwelche Vaterprobleme gehabt hatten.
    Ich war seit drei Wochen beim VOLK – dabei, aber nicht richtig zugehörig. Laurel selbst lieferte mich in D.s Zimmer in der Lodge ab. Ich denke mal, ich hatte damit gerechnet. Ja, ich hatte ganz sicher vom ersten Moment an damit gerechnet, aber D. hatte mich kaum eines Blickes gewürdigt, seit er mich an den Teergruben aufgegabelt und mitgenommen hatte; deshalb hatte ich mich schon gefragt, ob er vielleicht doch kein Interesse hatte.
    Jeder Zuhälter hat dieselben Tricks auf Lager. Das wusste ich nur allzu gut, aber es half mir nichts.
    Laurel schlug züchtig die Augen nieder und schlenderte mit einem niedlichen kleinen Schwung in den Hüften aus dem Zimmer. Ich bemerkte, dass D. ihr nachsah.
    Die Lodge hatte als Esszimmer gedient, glaube ich, als die Ranch noch Übernachtungsgäste hatte. Sie war achteckig, mit einer offenen Feuerstelle in der Mitte und einem runden steinernen Kamin, der nach oben bis in die Kuppel unter dem Dach ragte, die D. zu seinem Zimmer gemacht hatte. Die Kuppel hatte eine durchgehende Reihe von Fenstern um alle acht Seiten herum; so war sie voller Licht. D. lag auf seinem Bett, eingehüllt in eine gestreifte Decke wie ein indianischer Krieger oder ein Römer in seiner Toga oder von mir aus auch wie ein arabischer Scheich, keine Ahnung.
    Was er gesagt hatte, entwaffnete mich irgendwie. Ich hatte es erfolgreich geschafft, nicht an Terrell zu denken, seit ich abgehauen war.
    D. setzte sich auf und warf sein Haar zurück. Es war an dem Tag seidig, und er wirkte irgendwie sanft. Die Schulter, die nicht von der Decke verhüllt war, sah für mich glatt wie Milch aus.
    Als er aufstand, blickte ich nach unten auf seine nackten Füße auf dem Holzboden. Mir gefiel nicht, dass ich so reagierte; ich dachte daran, wie Laurel die Augen niedergeschlagen hatte, ehe sie gegangen war, und ich dachte, ich hätte D. in die Augen sehen und seinen Blick festhalten sollen, um ihn zu zwingen, als Erster wegzuschauen.
    Ich spürte Laurel wie ein Pulsieren in meinem Hinterkopf. Den Ton ihrer Stimme, keine Worte. Unter dem ausgefransten Saum der Decke waren D.s Waden erstaunlich dicht mit langen, feinen Härchen bedeckt, wie Angora.
    »Ich weiß es«, sagte er. Dann kam er zu mir und berührte mich, nur leicht, vielleicht hob er mit einer Fingerspitze mein Kinn an. Seine Augen hatten das tiefe, fließende Blau des Golfstroms, und sie schienen ganz und gar

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