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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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immer noch fähig, das Mädchen zu sehen, das von seinem Bruder gevögelt wurde, und zu hören, wie es sich bewegte und stöhnte, sich wand unter diesem Ansturm von Empfindungen, bei denen es nicht unterscheiden konnte, ob es Lust war oder Schmerz.
    Und hinterher war mein Kopf leer, hohl, wie zwei Hälften einer Vase, die wieder zusammengeklebt wurden. Manchmal tauchte eine Stimme in dem Vakuum auf.
    Mae ... Mae ...
    Eύρυδíκη ...
    Ich dachte mir damals nichts dabei. Wenn es dunkel wurde, Abendessenszeit, erinnerte ich mich schon nicht mehr an dieses Echo im Hohlraum meines Schädels.
    Manchmal hörte ich eine Stimme etwas sagen ... ich verstand es nicht. Oder vielleicht war es auch nur ein Laut.
    Und ich schien das Bajonett zu spüren, wie es zustach und zustach, etwas durchbohrte, das zunächst widerstand und dann eine schwindelerregende Leere im Innern preisgab, sodass ich mit der Faust auf die Stelle schlug, wo der Griff endete. Die Schockwelle durchlief meinen Arm bis hinauf zur Schulter, wieder und immer wieder.
    Terrell wetzte das Bajonett unermüdlich, bis es so scharf war, dass man sich damit rasieren konnte. Er ließ es mich an seiner Wade ausprobieren: Die silbrige Schneide trennte die harten dunklen Locken von der bleichen Haut wie von einem geschlachteten Schwein, dachte ich. Vielleicht rutschte ich ab, vielleicht auch nicht, jedenfalls schnitt ich ihn leicht, sodass Blut hervorquoll. Da verlor er die Beherrschung und ohrfeigte mich – ich sah das Nirgendwo in seinen Augen und machte den Hals steif wie einer von seinen Indianern, und er starrte verwundert auf den roten Fleck in seiner Hand.
    Ich berührte den Tropfen Blut mit der Fingerspitze und kostete ihn. Terrells Blick wurde weicher und war auf einmal weit weg.
    Weißt du, was ich machen will?
sagte er.
    Es war, als würde er mich nicht dazu zwingen, sondern überreden, so kam es mir oft vor. Ich lag da, die Knie angezogen, die Beine gespreizt, das grüne Baumwollkleid um die Taille gebauscht, und sah zu den Weberknechten hoch, die über die Dachsparren spazierten, und zu dem leichten Zittern der Schlangenhäute. Terrell hielt die Klinge am Griff und an der Spitze fest wie einen Knochenschaber und arbeitete mit hingebungsvoller, außerordentlicher Behutsamkeit.
    Egal wie oft wir das machten, nie schnitt er mich. Ich schaute nie hin, aber ich stellte es mir immer vor, die saubere weiße Schneide, die über das weich gerundete Fleisch glitt, das unglaubliche Gefühl von kühlem Stahl. Dann und wann pausierte Terrell, befeuchtete den Daumenballen mit der Zunge, um die kleinen Härchen wegzustreifen, die er abgeschnitten hatte. Irgendwie konnte ich mich selbst (oder was auch immer von meinem Selbst noch übrig war) nicht mehr davon abhalten zu seufzen, wenn er die nun glatten Wölbungen streichelte ... ich biss mir auf die Lippen, um mein eigenes Blut zu kosten. Mein Bruder küsste das Blut weg, schlängelte mit seiner Zunge hinein, um es sich zu holen.
    Manchmal gab es nach so einem Nachmittag irgendein achtloses sichtbares Zeichen, eine geschwollene Lippe oder einen fetten Bluterguss an meinem Unterkiefer, wenn Terrell mich vor Schreck dort geschlagen hatte. Dann und wann bemerkte das Mom-Ding diese Zeichen.
    Ihr seid zu wild
, sagte sie. Und da bin ich nun.

33
    Der Große Wagen erklomm den tiefschwarzen Himmel, warf kaltes Licht auf den alkalischen Wüstenboden. Ich war weit gegangen, so weit, dass das schlierige Licht der Stadt in meinem Rücken zu Schwefelblüten am Horizont verblasst war. Vor mir zog sich das schwache Band einer Hasenfährte entlang, deren Schattierung nur ein wenig heller war als der lose Sand rundherum; sie lief auf einen Haufen Felsen zu, der sich von dem Tafelberg ergossen hatte.
    Ich ging neben einem knorrigen Wacholder in die Hocke, presste seine trockenen Wurzeln in die Spalten eines großen Steins. Der Schatten des Busches fiel über mich, bedeckte mich mit Dunkelheit.
    Hoch auf dem Tafelberg heulten Kojoten. Ein wilder, hoher, halb hysterischer Klang. In der Wüste bewegt sich der Schall eigenartig. Sie waren in Wahrheit möglicherweise Meilen entfernt, und es war vielleicht auch nur ein Pärchen, obwohl es klang wie der Chor von einem Dutzend oder mehr.
    Ich hielt Ausschau nach Hasen, sah aber keine. Zeit verstrich, während die Sterne über mir kreisten, mit dieser leisen, kaum hörbaren Musik, wie wenn man mit einem spuckefeuchten Finger über den Rand eines Kristallglases fährt.
    Die Kojoten hatten ihr

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