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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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ihnen diese Behandlung, oder es lag an der dünnen Luft da oben in Denver, die es einem manchmal schwer machte, klar zu denken.
    Als ich endlich im Haight ankam, lernte ich noch etwas: Von freier Liebe kannst du dich nicht ernähren. Du mochtest Feuer und Flamme dafür sein oder auch nicht, ich jedenfalls war bald komplett abgebrannt. Und kurz vorm Verhungern.
    Eine Frau hat zwei Börsen.
    Es mit Louie zu treiben, war am Anfang spannend, weil das damals für ein weißes Mädchen, das aus meiner Gegend kam, ein ziemlich krasser Regelverstoß war. Aber abgesehen davon gab es keinen großen Unterschied oder zumindest keinen sonderlich interessanten. Louie steckte bis zum Kopf voll mit ganz gewöhnlicher sterblicher Gemeinheit, was ihm beim Rest seiner Pferdchen auch gute Dienste tat, bei mir aber wirklich nichts brachte. Er erinnerte mich in dieser Hinsicht an Ted, nur dass ich Ted damals noch nicht kannte.
    Doch trotz seiner Schwächen war Louie irgendwie ein kosmopolitischer Typ, der kein Problem damit hatte, seinen heimischen Turf in Tenderloin zu verlassen. Wenn ich versuchte, im Haight unterzutauchen, spürte er mich auf. Einmal fuhr ich sogar bis nach L. A., er fand mich trotzdem. Und da wusste ich bereits, dass es Schmerzen gab, die ich mir nicht gern zufügen ließ.
    Als es sich dann zuspitzte, war die Antwort einfach. Ich hatte nur nicht geahnt, dass ich es längst wusste. Louie machte es mir leicht, denn als ich ihm das Bajonett an den Brustkorb hielt, glaubte er ehrlich nicht, dass ich es tun würde, er wusste es nicht, bis es zu spät für ihn war.
    Das Wesentliche hatte ich von meinem Bruder gelernt, als ich klein war. Widerstand ist kein Hindernis. Drück immer weiter, und es gleitet einfach hinein.

56
    Ich bring dich um, wenn du’s wem erzählst
, sagte ich zu Laurel, als wir damals aus Teds Höhle kamen, aber ich meinte das nicht böse oder als Drohung – es war eher so, als hätte ich zu ihr gesagt:
Ich liebe dich
.
    Und Laurel schien es so aufzufassen, wie ich es gemeint hatte. Als sie blinzelnd ins grelle Tageslicht trat, strich sie sich das Haar zurück, hob das Kinn und schenkte mir ihr gewinnendstes Lächeln. Sie sagte: »Aber du hast mir doch gerade erklärt, dass ich gar nicht sterben kann.«

57
    Angst kenne ich nicht, aber ich war mehr und mehr … unruhig. Ein neues Gefühl oder eines, das ich schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte. Als würde mich etwas beobachten, als wäre ich eine Beute.
    Auf einmal musste ich das Gewehr stets bei mir haben. Oder so nah wie möglich, was oft nicht nah genug war, um mich zu beruhigen. Mal abgesehen von den Problemen, die mit Pauley und dieser speziellen Waffe zu tun hatten, war es jetzt ohnehin riskanter, mit Feuerwaffen unterwegs zu sein. Seit die Türme in New York eingestürzt waren, nahm diese beschissene Terrorismushysterie kein Ende, und das nicht nur im Osten.
    Als hätten sie wirklich gewusst, was Terror ist.
    Natürlich konnte ich das Gewehr nicht mit zur Arbeit nehmen, aber immer, wenn ich die Wohnwagensiedlung verließ, lag es im Kofferraum meines Wagens. Nachts nahm ich es mit ins Bett und liebkoste es, kostete den kalten blanken Metallgeschmack auf der Zunge.
    Ich sehnte mich nach den Messern, die ich früher besessen hatte, die Stahlklinge und das Steinmesser. Im Vergleich dazu war ein Gewehr weniger intim. Aber ich hatte die Messer, auf die ich einst Anspruch erhoben hatte, verloren, weggeworfen, trotz ihrer magischen Kraft. Wo waren sie jetzt?
    Manchmal, nachts, wuschten und wummerten Hubschrauberrotoren vorüber, kreisten über dem Rand, der die Stadt von der Wüste trennte. In der Stille, wenn der Helikopter wieder verschwunden war, spürte ich den Druck des Blicks noch stärker. Selbst durch das dünne Wohnwagendach. Das Auge eines unsichtbaren Raubvogels hoch oben.

58
    Ich durfte Laurel nicht berühren, als sie von ihrem Ausflug mit Ted zurückkam. Ich konnte sie überhaupt nicht erreichen. Sie war früher schon vergewaltigt worden, einmal oder mehrfach. Das wusste ich, obwohl ich unsicher bin, woher ich das wusste. Ihre Augen waren leer. Sie lag da, zu einem Ball zusammengerollt. Weder ich noch sonst jemand durfte sie auch nur anfassen.
    D. wusste es. D. bekam mit, in welche Tiefe sie geschleudert worden war, und ich denke, das war vielleicht einer der Gründe, warum er uns beide aufforderte, in jener Nacht mit in den Canyon zu fahren – nicht bloß, weil er wusste, wozu wir fähig waren. Er wollte ihr etwas geben, um darüber

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