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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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Korea gefragt«, sagte Marvin.
    »Es heißt
Cho
rea«, erklärte ich ihm. »Nicht Korea.« Und dachte: Das hätte ich nicht sagen sollen. Das war nicht der Name auf meiner Stromrechnung oder meinem Mietvertrag oder meiner Stellenbewerbung. Ich hatte inzwischen so lange unter dem falschen Namen gelebt, dass er mehr Gewicht hatte als der echte.
    »Ich hab ihm nichts gesagt«, beteuerte Marvin. »Das bist du doch nicht, oder?« Jetzt sah er mich an, forschend.
    »O nein«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab. »Bin ich nicht.«
    Dann musste ich zurück zu meinem Tisch, obwohl ich mich fühlte, als hätte mir jemand einen Eimer Spinnen in den Nacken gekippt. Warten und Karten austeilen. Bis Marvin aus dem Saal ging. Dann fand ich irgendeinen Vorwand und erklärte meinen Tisch für geschlossen. Ich hatte ohnehin nur zwei Kunden, beides keine Stammgäste.
    Normal verhalten, normal normal normal. Ich trug meine Jetons zur Kasse und gab sie ab. Das Auge am Himmel bohrte sich in meine Schädeldecke. Aber das hatte nichts zu bedeuten, was hatte das schon zu bedeuten? Vielleicht hoben sich ein paar Augenbrauen, als ich hinausging.
    Auf den Stufen empfand ich einen Moment falscher Erleichterung, als die blassen Neonfarben über mich hinwegspülten und ein weicher trockener Wind mein Gesicht berührte; weiter hinten die Dunkelheit der Wüste. Dieser Indianer kam die Treppe herauf, als ich hinunterging, der mit dem schwarzen Hut und dem vielen Silberund Türkisschmuck. Unsere Blicke trafen sich, hielten sich gegenseitig einen Moment, als wir aneinander vorbeigingen. Er schien mich mitleidig anzusehen, sogar mitfühlend. Warum, dachte ich, warum ich? Warum sah er mich so an, dieser sterbende Avatar seiner ausgerotteten Rasse?

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    Und natürlich wusste ich sofort Bescheid, als Marvin mich ansprach – ich wusste, was geschehen war, wie es geschehen sein musste. Wer es hatte geschehen lassen.
    Streck die Hand aus und berühre jemanden. Ping. Ping.
    Ich wollte sofort bei ihr sein, ohne den geringsten Aufschub. Aber so einfach würde das nicht werden, das sah ich ein. Bei der ganzen Terrorismus-Panikmache würde es nahezu unmöglich – oder nein, gänzlich unmöglich werden, eine Schusswaffe mit ins Flugzeug zu nehmen.

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    Schließlich fanden sie Eerie in dem Motel, tot. Bloß eine glücklose Sterbliche mehr, die sich in formlosen Lehm zurückverwandelte – kein Grund, dass es irgendeine besondere Bedeutung haben sollte, doch jedes Ereignis hat so viel Gewicht, dass es bei seinem Sturz irgendeinen anderen zufälligen Umstand mit sich reißt. Und ja, wie D. immer sagte, das Ende kam näher.
    Als Eerie diesmal starb, starb sie für immer – kein Liebender konnte sie ein zweites Mal zurückführen, fort von dem schwarzen Thron. Sie hatte die Speise der Toten einmal zu oft gekostet. Abgesehen von der Überdosis hatte sie anscheinend auch ein gebrochenes Genick, daher wusste jeder, dass Ted wahrscheinlich etwas damit zu tun hatte, doch keiner sagte es – nicht innerhalb des VOLKES und ganz sicher nicht zu den vielen Bullen, die in den ersten Tagen danach dauernd antanzten.
    Ich glaube O. vor meinem geistigen Auge zu sehen, wie er diesen Sack Gebeine und Aas hochhob und in den Armen wiegte, wehklagte und mit den Zähnen knirschte, während er den Kadaver seiner Geliebten zu dem hohen Felsen in den ausgetrockneten Bergen trug. Wie er ein Lied sang, das keine Worte hatte, nur Schreie. Aber das kann nicht sein, weil der Leichenbeschauer Eeries Körper mit Sicherheit schon in die Gerichtsmedizin abtransportiert hatte, als O. auf der Ranch erschien.
    Seine goldene Haut war nun zu der Farbe von altem Elfenbein ausgewaschen, der Farbe von totem Knochen. Und jetzt hatte D. ihn so in der Hand, wie er sich das schon sehr lange gewünscht hatte. Zu guter Letzt war O. eins mit ihm geworden.
    Über den dürren Bergen wurde die Luft weiß, nahm diese schimmernde elektrische Blässe an, die vermeintlich Regen in der Wüste versprach, und der heftige Wind wirbelte grobkörnigen Staub vom Boden auf, während Ted auf Bäume kletterte, um Lautsprecher hinter D.s Sprechstein anzunageln, und Crunchy und Creamy mixten mit TaB-Cola oder Mountain Dew in Plastikmülleimern Gangster Acid zusammen, das mit Speed versetzt war, sodass es Schlangen regnete statt Wasser, und ich – ich zerriss mein Gewand, bis eine Brust entblößt war, und fing eine von den Schlangen, deren Diamantrücken sich um meine Hand wanden. Ich wickelte sie mir um die Stirn wie ein

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