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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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lebendes Diadem, der Keilkopf aufgerichtet und Gift spritzend, während ich jenseits der Grenzen jedes sterblichen Bewusstseins tanzte, meinen Thyrsos in der einen Hand schwenkte und ein geflecktes Wildkatzenjunges in der anderen.
    Aber ich sah, dass Laurel mich bleich vor Schock oder vielleicht auch Angst anstarrte – obwohl ihr eigener Kopf jetzt der einer Medusa war, umkränzt mit genug Lorbeer, um das ganze VOLK zu vergiften, wenn er in einem von Creamys Kesseln gekocht würde. Daraufhin schleuderte ich die Schlange von mir, und als sie gegen einen Baum schlug, verwandelte sie sich in einen Weinstock.
    Da war mir, als würde ein Schrei der Bewunderung von dem VOLK aufsteigen, und Menschen stürzten sich auf die Trauben, die sogleich heranreiften, drängten sich und zerrissen ihre Kleidung an der Rinde, benutzten ihre eigenen rot gefärbten Zähne als Weinpressen. Und über alldem erhob sich die Stimme von O.
    Dann kamen mehr und mehr Leute dazu, obwohl nicht alle, nicht mal die meisten von ihnen mit uns vereint waren, aber sie kamen und kamen, einfach bloß weil etwas passierte, weil es ein
Happening
war, wie man das damals nannte, und derjenige, der alle anlockte, war O. Die LP
Western Wind
war erschienen, und O.s strahlendes Antlitz war hundertfach in den Schaufenstern der Geschäfte zu sehen (zusammen mit dem kleinen Bild von Laurels wie Kraut und Rüben bemaltem Fuß in der Ecke, den vielleicht außer mir niemand erkennen wird, für eine lange Zeit), und O.s Stimme quoll aus dem Radio, wann immer einer es anmachte; O. gab keine abgesprochenen Livekonzerte, sondern sang nur für D.s VOLK , und deshalb kamen die Menschen und kamen immer wieder. Außerdem gab es Gerüchte über kostenlose Drogen.
    Es war eine solche Lawine von neuen Leuten, dass der Makel von Eeries Tod, der möglicherweise kein bloßer Unfall war, hinweggespült wurde, und das, obwohl es zunächst so ausgesehen hatte, als wäre es ein leidiges Problem, das man vielleicht nie wieder loswürde. In jenen Tagen hätte man meinen können, ein unsicheres Flackern um die Maske von D.s Gelassenheit wahrzunehmen. Laurel war gerade erst von ihrer kurzen Vagabundenphase mit O. in Malibu zurückgekehrt, als die Leiche gefunden wurde – Eerie war da wohl schon eine ganze Weile tot gewesen. Vielleicht war es nicht bloß purer Zufall, dass D. Laurel mit Ted in die Höhle geschickt hatte, als all die Bullen das erste Mal auftauchten, und dass sie deshalb nicht mit Ted hatten sprechen können. Dazu kamen sie erst eine ganze Weile später, als schon sehr viel mehr zu Ende gegangen war.
    Dann drang O.s Stimme dröhnend aus den Lautsprechern, die in den Bäumen hingen, und es strömten noch mehr Menschen herbei, sodass die Bullen den Überblick verloren und sich zurückzogen, wenngleich manche von ihnen das Schauspiel weiter aus einigem Abstand beobachteten, mit Ferngläsern, die sie auf den Dächern ihrer am Straßenrand geparkten Streifenwagen abstützten. »Lasst sie«, kicherte D., der hinter O. auf dem Felsen herumsprang, den sie jetzt als Bühne nutzten. »Lasst sie ihre Augen zu den Bergen heben!« Und O. wandelte das in etwas Melodischeres um.
    Wie von Magneten angezogene Eisenspäne versammelte sich das VOLK unterhalb des Felsens. Sie hatten Gitarren da oben, alle beide, doch im Grunde war es nur O., der D.s Worte in Musik übersetzte. Das waren die Songs, die schließlich auf dem
Black Album
landeten. Wir hörten, wie kalt die Münzen waren, die man auf Eeries Augen gelegt hatte, wie breit und tief und dunkel der Styx war. Doch das sei nur der Anfang, denn viele, viele müssten ihn noch überqueren. Jede Phrase war erfüllt von der schwarzen und glitzernden Schönheit des Todes.
    Furcht wand sich durch das VOLK , wie eine glänzende, blinde, schwarze Schlange. Keiner schreckte vor der Furcht zurück. D. hatte uns gelehrt, sie anzunehmen. Furcht war der wahre Name der Tat. Furcht gebar unsere größten Handlungen. D. erklärte uns, dass die Furcht selbst unsere Rettung sein würde … oder es war O., der es sang.
    O.s Kopf war lediglich ein Empfänger für D.s Gedanken. Seine Diamantkehle verlieh D.s Worten eine Stimme. Falls diese Worte und Gedanken D. überhaupt je gehört hatten. Sie bestiegen gemeinsam den Felsen, oder nein, sie taten es als eine Einheit, Jesus, Jehova und Satan zugleich, vereint. Hinterher jedoch erschienen die Worte blass und schwächlich; es war schwer zu glauben, dass sie wirklich so vieles zu Fall gebracht hatten.
    Ich stand in

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