Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
Vom Netzwerk:
andere Angehörige des VOLKES hatte sie noch ausreichend Restbestände Ego übrig, um den größten Teil ihres Geldes D.s Zugriff zu entziehen. Wenn sie also hin und wieder das Gefühl hatte, einen Abstecher machen zu müssen, tat sie das nicht als Bettlerin.
    Diese kleinen Vorkommnisse rieselten mir eines nach dem anderen durchs Gehirn, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Was hatten sie zu bedeuten? Sie waren nichts Ursächliches, das eine Wirkung binden konnte, und doch war ich mir ziemlich sicher, dass Laurel kurz nach dem Tag mit dem Magic-Mushroom-Tee und D.s Gänseblümchenkette für eine gewisse Zeit von der Bildfläche verschwand. Laurel brauchte oft ausgiebige Abstecher nach solchen Sitzungen, die es zwei Menschen schwer machten, danach so vertraut miteinander umzugehen wie zuvor. Oder sich in der eigenen Haut wohlzufühlen. Das war ja gerade der Sinn der Übung, wie D. jederzeit wem auch immer erklärte.
    Also hatte Laurel still und leise etwas Zeit abgezweigt und war ganz allein irgendwohin ... Sie hatte die wunderbare Gabe, selbst Handlungen, die sie minutiös geplant hatte, so aussehen zu lassen, als wären es undurchdachte, sinn- und hilflose Unfälle. Sie könnte sich also – oder wird sich eher mit ziemlicher Sicherheit ein paar Blumen ins Haar gesteckt haben und vor O.s Haustür in Malibu aufgetaucht sein, oder sie war ihm, was noch wahrscheinlicher ist, rein zufällig begegnet, während sie ausgelassen wie eine Elfe am Strand wandelte.
    Natürlich wird sie gewusst haben, dass sie bloß Ersatz war (wie ich es während meines Aufenthalts gewusst hatte), wenn O. ihr seine Eerie-Songs vorsang. Ich glaube nicht, dass es ihr wirklich etwas ausgemacht hat. Laurel war in vielerlei Hinsicht eine praktische junge Frau, sie wusste, dass sie sich nahm, was sie bekommen konnte. Als ich ihren Fuß auf der Plattenhülle betrachtete, konnte ich mir auch ihr zufriedenes Lächeln dazu vorstellen, knapp außerhalb des Bildrahmens. Und ich kannte diesen Fuß bis ins Kleinste, nicht bloß den Zehenring und die verschlungenen Henna-Ranken, sondern jeden einzelnen Muskel, jede Sehne, jeden Knochen.
    Könnte Laurel so viel Einfluss gehabt haben, dass sie den Rest von sich aus dem Foto hatte rausschneiden lassen? Nein, ich glaube nicht. Der Fotograf hatte einfach bloß mehr Interesse an O. gehabt ...
    ... der seinerseits nur Augen für Eerie hätte haben sollen. Der immer nur Eerie hätte ansehen sollen. Denn er liebte sie wie niemanden sonst, auch wenn er das erst begriff, als es zu spät war.

52
    Im Winter begann Terrell, Mary Alice morgens abzuholen, wenn wir zur Schule fuhren, und diese Angewohnheit hielt sich sogar bis in den Frühling hinein. Wenn wir in ihre Einfahrt bogen, war ich immer noch im Halbschlaf oder tat zumindest so. Dann stieg ich aus und stierte benommen auf den heiligen Franziskus aus Zement, der da leicht schief auf dem Rasen stand, zwischen einem Steingarten und einem matten, trüben Fischteich. Ihre Mutter winkte dann fröhlich von der Tür oder dem Fenster aus.
    Mary Alice kletterte immer beschwingt auf den Mittelsitz der Vorderbank, und wenn ich hinter ihr einstieg, schmiegte sie sich an Terrell, als wollte sie zu mir auf Abstand gehen. Vielleicht lag es an dem Gerede auf den Schulfluren oder an jener sonderbaren Nacht im Wald (falls es ihr nicht gelungen war, alle Erinnerungen daran wegzukreischen). Vielleicht spürte Mary Alice auch, dass da etwas anderes war, etwas Fremdes ... Jedenfalls zog sie ihren Rock zurecht, schrumpfte zusammen, mied jede Berührung.
    Zumindest bis zu dem Morgen, als sie sich von Terrell wegdrehte und sich über meinen Schoß warf, damit sie, wie ich nach einer ersten Sekunde der Verblüffung schnallte, aus dem offenen Fenster auf meiner Seite kotzen konnte. Terrell fuhr mit einem verwirrten Halblächeln rechts ran – und mit einem Anflug von Besorgnis auf dem Gesicht, weil es ihr offenbar wirklich schlecht ging. Mary Alice trank nicht (auf Partys hielt sie sich an ihrer Cola-Rum fest und benetzte nur hin und wieder die Zunge damit wie ein Kätzchen), und sie nahm keine Drogen, also konnte es unmöglich die Nachwirkung einer zu wilden Party sein.
    Sie trug einen flauschigen Angorapullover, rosa mit weißen Knöpfen, und durch ihn hindurch spürte ich ihren Oberkörper schlaff auf mir liegen wie ein eingefallenes Soufflé. Ich konnte ihren Herzschlag und ihre Angst spüren. Ihr Herz raste schneller als das eines Kaninchens. Ein paar Tröpfchen Galle klebten an den

Weitere Kostenlose Bücher