Die Farbe der See (German Edition)
getraut, sofort hereinzukommen. So blieben Ole die entscheidenden Sekunden, um sich in Stellung zu bringen.
Als die Tür sich öffnete und der Kopf mit den roten Haaren erschien, schlug Ole abermals mit dem Peekhaken zu. Auch dieser Hieb schickte seinen Widersacher sofort ins Reich der Träume. Hastig zog Ole ihn in die Baracke und spähte durch die Tür.
Es waren fünf Deutsche gewesen. Zwei lagen hier, ein Mann bewachte Lina und Sigur. Von Nummer vier und fünf war nirgendwo etwas zu sehen. Vielleicht saßen sie am Funkgerät in Lasses Haus, um Kontakt zum Schnellboot zu halten. Oder Richard hatte ihnen gestattet, irgendwo eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.
Ole beschloss, sein Glück bei den Hörnern zu packen.
Außer der Kassette mit den Plänen nahm er auch Richards Pistole und die Schmeisser des Rotschopfs an sich. Nicht, dass er vorgehabt hätte, die Waffen zu gebrauchen. Darin hatte er ohnehin kaum Übung. Aber zumindest sollten sie verschwunden sein, wenn die beiden aufwachten. Er trug alles über die Felsen hinüber zu dem umgedrehten Fischerboot, unter dem er und Lina gesessen hatten, und versteckte es dort. Nur das schartige Fischmesser steckte er hinten in seinen Hosenbund. Dann lief er zurück zu dem Schuppen, in dem Lina und Sigur gefangen gehalten wurden, und pochte an die Tür.
»Heda!«, rief er. »Der Sturmbannführer will Sie sehen!«
Es dauerte einen Augenblick, dann öffnete sich die Tür und der ältere Schnellbootmann blickte vorsichtig heraus. Er schien misstrauischer zu sein als sein jüngerer Kamerad.
Trotzdem trat er einen Schritt zu weit aus der Tür, als er niemanden vor dem Schuppen sah. Ole hatte sich hinter das nach außen aufgehende Türblatt gestellt und trat dieses nun mit voller Wucht gegen den Wachtposten. Der Mann taumelte zurück, und die Maschinenpistole verhakte sich zwischen Tür und Angel. Ole bekam sie zu packen und durchschnitt mit dem Fischmesser den Trageriemen, bevor sein Gegner sich wieder gefangen hatte.
Dann trat er mit vorgehaltener Waffe in den Schuppen.
Der Schnellbootmann stand drei Schritte entfernt und hob langsam die Hände. Ein roter Striemen lief quer über sein Gesicht, wo ihn die Kante der Tür erwischt hatte, und sein Ausdruck verriet, dass er noch ebenso benommen wie geschockt war. Auch Lina und Sigur starrten ungläubig zu ihm herüber.
»Da rüber und hinknien!«, fuhr Ole den Schnellbootmann an. »Wenn du schreist, drücke ich ab! Dann kommt es auf den Lärm auch nicht mehr an!«
Der Mann nickte hastig und ging mit erhobenen Händen in die Knie.
Dann war Lina bei Ole.
»Wie hast du sie …?«
»Später!«, unterbrach Ole sie und durchschnitt ihre Handfesseln. »Lauf zu meinem Versteck. Dort liegt die Kassette mit den Plänen.«
Lina machte große Augen.
»Wir treffen uns an Bord der Lotten. Ich muss mich noch um den hier kümmern!«
Er zeigte auf den Schnellbootmann.
Lina nickte und wollte loslaufen.
Doch dann blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu Sigur um. Der saß noch immer an der gleichen Stelle und starrte sie mit großen Augen an.
Lina blickte mehrere Sekunden mit reglosem Gesicht zu ihrem Verlobten hinüber.
Dann zog sie ihren Verlobungsring ab, warf ihn ihm wortlos vor die Füße und lief hinaus.
Sigurs Gesicht war kreidebleich, als er ihr hinterherstarrte.
Ole fand einen Strick, mit dem er den Schnellbootmann fesseln und knebeln konnte. Dabei klemmte er sich das Messer zwischen die Zähne, um sich notfalls rasch gegen einen Angriffsversuch des deutschen Soldaten wehren zu können. Doch der ließ die Prozedur anstandslos über sich ergehen, wohl auch weil er immer noch von Oles völlig unerwartetem Coup eingeschüchtert war.
Dann nahm Ole Linas Rucksack an sich, schulterte ihn und wandte sich, das Fischmesser in der einen und die Schmeisser in der anderen Hand, zu Sigur um.
Dieser setzte sich ruckartig auf und starrte auf das Messer. Sein Gesicht verriet Angst.
Verdammt, was dachte sich dieser Idiot eigentlich? Dass er ihn jetzt abstechen würde? Ärgerlich schnitt Ole ihm die Handfesseln durch und ignorierte die grenzenlose Erleichterung in Sigurs Augen.
»Hör zu!«, sagte er nicht eben freundlich. »Unten im Hafen liegt ein Ruderboot. Sieh zu, dass du auf kürzestem Weg zum Festland hinüberkommst und verschwindest. Verstanden?«
Sigur nickte.
»Wenn du schlau bist, lässt du dich diesmal nicht erwischen! Und jetzt beeil dich! Da sind immer noch zwei von denen auf der Insel, die jederzeit auftauchen
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