Die Farbe der See (German Edition)
sich seine Nackenhaare aufzurichten begannen. Vielleicht war es gar kein dummer Zufall, der ihn hierhergebracht hatte, allein mit Richard und den Plänen, die er bereits endgültig verloren geglaubt hatte. Vielleicht war es Lotten – Schicksal!
Fieberhaft begann es in seinem Kopf zu arbeiten.
Zunächst musste er Zeit gewinnen. Und Richard ablenken, damit er auf keinen Fall auf die Idee kam, sein harmloser, dummer Segelkamerad von früher könnte irgendetwas im Schilde führen.
»Wenn du schon für mich nichts tun kannst, dann vielleicht wenigstens für sie?«
Richards überhebliches Grinsen zeigte, dass Ole ins Schwarze getroffen hatte.
»Natürlich … das Mädchen!«, spottete er. »Da hast du dir wirklich den allerdümmsten Zeitpunkt ausgesucht, dich zu verknallen, und dabei auch noch die schlechteste mögliche Wahl getroffen! Mal ganz abgesehen davon, dass sie eine Spionin und ein gottverdammtes Miststück ist, der ich mit Vergnügen persönlich den Strick um den hübschen Hals legen würde – was willst ausgerechnet du mit einem Weibsbild von diesem Kaliber anfangen?«
Richard schüttelte lachend den Kopf.
Ole fühlte kalte Wut in sich aufsteigen. Aber das war gut so. Sie würde ihm bei dem, was er vorhatte, nur noch entschlossener machen.
Dort war der Tisch mit den Plänen, dort stand Richard, und hier, keine drei Schritte von Ole entfernt, lehnte ein Peekhaken mit einem handlichen, dicken Holzstiel an der Wand.
Doch noch war es nicht so weit.
Noch bedurfte es einer weiteren List, um Richard dorthin zu bekommen, wo er ihn haben wollte, und es kam Ole zupass, dass er sich dafür nicht einmal mehr zu verstellen brauchte.
»Ja, du hast recht!«, sagte er mit aufrichtigem Stolz. »Ich bin verliebt in sie. Und ich würde alles tun, damit sie lebendig aus dieser Sache herauskommt!«
»Ole, Ole! Du bist so naiv! Du glaubst wirklich, du könntest mich mit deiner kindischen Gefühlsduselei erweichen?«, sagte Richard amüsiert. »Selbst wenn es in meiner Macht läge, würde ich diese Frau niemals laufen lassen. Du vergeudest deine Zeit. Und meine!«
Kopfschüttelnd wandte sich Richard wieder dem Tisch und seinem Fotoapparat zu – und beging damit genau die letzte entscheidende Überheblichkeit, auf die Ole gehofft hatte.
Im selben Augenblick, in dem Richard ihn aus dem Blick ließ, weil er das eine Auge zukniff und mit dem anderen durch den Sucher der Kamera blickte, sprang Ole nach vorne, griff mit den gefesselten Händen nach dem Bootshaken und schwang ihn in einer Kreisbewegung in die Richtung seines Feindes.
Richard hatte die Schritte gehört, oder vielleicht auch nur das Surren des Stocks, und instinktiv die Arme hochgerissen. Aber Oles Schlag war zu mächtig. Er fegte Richards Hände aus dem Weg, so dass auch die Kamera zur Seite gewirbelt wurde, und traf ihn mit beinahe unverminderter Wucht an der Schläfe.
Ob er Korfmann mit dem Schlag den Schädel gespalten oder ihn nur bewusstlos geschlagen hatte, war Ole im Moment herzlich egal. Hauptsache, er hatte ihn erwischt und außer Gefecht gesetzt.
Schwer atmend stand er neben der Werkbank und starrte auf den reglosen Feind zu seinen Füßen.
Und jetzt? Weiter als bis zu diesem Augenblick hatte Ole nicht gedacht.
Er zwang sich, ruhiger zu atmen und einen klaren Kopf zurückzugewinnen. Als Erstes musste er seine Handfesseln loswerden.
Das Taschenmesser seines Großvaters hatte er vor der Bergung des Funkgerätes in Linas Rucksack gesteckt. Dieser befand sich in der Obhut des Wachtpostens drüben in der anderen Baracke.
Fieberhaft sah er sich um.
Auf einem Bord über der Werkbank entdeckte er ein Fischmesser. Mit der schartigen Klinge nach oben klemmte Ole es in den Schraubstock der Werkbank. Wenige Augenblicke später hatte er seine Fesseln durchtrennt.
Jetzt die Pläne! Rasch suchte Ole alles zusammen, was an Papieren auf der Werkbank lag, und legte es zu den übrigen Rollen in die Kassette zurück. Dann warf er die Dosen mit den Rollfilmen hinzu, von denen er nicht wusste, ob Richard sie bereits belichtet hatte oder nicht. Den Film, der noch in der Kamera war, zog er kurzerhand aus dem Gehäuse und stopfte ihn ebenfalls dazu. Dann schloss er den Deckel und ließ die Schnapper einrasten.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn herumfahren.
»Herr Sturmbannführer? Alles in Ordnung?«
Der Rothaarige. Ein Glück, dass Richard ihn eben so grob vor die Tür gesetzt hatte. Wenn er weniger brüsk gewesen wäre, hätte der Knabe sich nun vielleicht
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