Die Farbe der See (German Edition)
Der erste passierte mehrere Engstellen südlich und östlich der kleinen Insel Malö, bevor er in den Koljöfjord einmündete, ein mit bewaldeten Schären und Felsbrocken übersätes, weit nach Osten ins Landesinnere reichendes Gewässer. Der zweite Arm führte geradeaus in Richtung Nordnordost und mündete östlich der Stadt Lysekil in den Gullmarnfjord und damit zurück ins offene Meer. Laut Karte wurde die Fahrrinne im hinteren Teil dieser Strecke sehr flach. Weniger als zweieinhalb Meter. Zu flach für das Schnellboot!
»Wenn wir es bis hierher schaffen«, sagte Ole und zeigte Lina die Stelle, »haben wir eine Chance! Ab hier können sie uns nicht mehr folgen.«
Lina nickte angespannt und sah sich um. Aber was, wenn sie vorher gesehen wurden? Das Wummern war bereits merklich lauter geworden.
Hastig fierten sie die Schoten, um vor dem Wind in den Ellösefjord abzulaufen. Dadurch wurden sie jedoch auch langsamer. Also startete Ole den Motor, was jedoch zur Folge hatte, dass sie nun ihre Verfolger nicht mehr hören konnten.
Doch das war bald ohnehin nicht mehr nötig.
Als sie den Fjord halb überquert hatten, sahen sie die schwefelgelbe Abgasfahne über den südlichen Schären. Wenige Minuten später konnten sie auch den grauen Rumpf des Schnellbootes sehen. Mit hoher weißer Bugwelle kam es aus dem Kanal bei Gullholm gerauscht. Einen Moment lang schien es, als wollte es dem westlich gelegenen Außenfahrwasser nach Smögen folgen, doch dann konnten sie sehen, wie der Aufbau sich neigte und das Schnellboot in einer engen Kurve auf den Ellösefjord zudrehte.
»Sie haben uns gesehen«, sagte Lina tonlos. »Was jetzt?«
Ole blickte nach vorn.
Die erste Einfahrt, die in den Koljöfjord führte, lag nur wenige hundert Meter querab. Doch was nutzte es, dort hineinzufahren? Das Schnellboot hatte sie gesehen und würde sie eingeholt haben, bevor sie die nächste Engstelle passiert hätten.
Aber auch Oles vorheriger Plan würde nicht mehr aufgehen. Bis zu der flachen Stelle in der zweiten Rinne war es ebenfalls viel zu weit. Mit wachsender Verzweiflung starrte Ole auf die Seekarte. Gab es wirklich keine andere Möglichkeit?
Ole stutzte. Nördlich der Insel Malö gab es eine schmale Querverbindung zwischen den beiden Fahrwassern. Ole hatte ihr zuvor keine Beachtung geschenkt, weil sie ebenfalls nach Osten führte. Aber auch hier war eine Flachstelle verzeichnet. Diese hatte sogar weniger als zwei Meter. Viel zu wenig für das Schnellboot, aber auch für sie selber bereits im kritischen Bereich. Wie viel Tiefgang die Lotten hatte, wusste Ole nicht genau. Er konnte nur schätzen, dass es irgendetwas zwischen 1,5 und 1,8 Metern sein würde.
Dennoch, es würde ihre einzige Chance sein!
Und den Gegner verblüffen ist immer eine gute Taktik! Das hatte von Wellersdorff gesagt, kurz bevor sie beim Start der Starboot-Weltmeisterschaft die Parade abgenommen hatten.
Die Vorstellung, dass sich der Konteradmiral vermutlich ebenfalls noch an Bord des Schnellbootes befand, war befremdlich. Wie viel würde er als Gefangener von der Jagd auf Ole und Lina mitbekommen?
Als Ole sich erneut umdrehte, war das Schnellboot bereits auf weniger als eine Meile aufgekommen. Deutlich konnte man jetzt die beiden signifikanten Klappen der Torpedorohre rechts und links des Bugs erkennen.
»Sie werden eins von diesen Dingern auf uns abfeuern und uns versenken«, stellte Lina nüchtern fest.
Ole schüttelte den Kopf. Bei einem kleinen und wendigen Schiff wie der Lotten würde ein Torpedo wenig nutzen. Vorausgesetzt, das anvisierte Ziel hatte genug Zeit und Platz, um zur Seite auszuweichen. Auch das größere 20-Millimeter-Zwillingsgeschütz auf dem Achterdeck war mehr für die Abwehr von Luftangriffen konzipiert. Wenn es flach und nach vorne zielen sollte, war der eigene Brückenaufbau im Weg.
Trotzdem wusste Ole, dass die Schnellbootbesatzung diesmal kurzen Prozess mit ihnen machen würde, auf welche Art auch immer.
Tatsächlich tauchten nun mehrere Männer auf dem Vorschiff des Schnellbootes auf. Sie wuchteten eine Kiste an Deck, hoben ein leichtes, einläufiges MG heraus und arretierten es in einer dafür vorgesehenen Halterung. Es war viel kleiner als das Geschütz auf dem Achterdeck, aber auch dieses Kaliber würde mehr als genug sein, um ein schlichtes Holzschiffchen wie die Lotten zu einem Haufen Treibholz zusammenzuschießen.
Womöglich war es ziemlich dumm von ihnen gewesen, dass sie die Maschinenpistolen ihrer Bewacher unter dem
Weitere Kostenlose Bücher