Die Farbe der See (German Edition)
Schalentiers und hielt es Lina hin.
»Siehst du?«
Lina öffnete den Mund, eigentlich vor Erstaunen, aber Ole interpretierte ihre Sprachlosigkeit anders und schob ihr den Leckerbissen kurzerhand zwischen die Lippen.
Sie verschluckte sich, dann musste sie herzhaft lachen. Und auch sonst verlief das Essen lustiger, als es dem ernsten Grund ihres Besuches in Smögen angemessen war.
Ihre Anspannung kehrte jedoch rasch zurück, als sie sich nach dem Abendessen auf die Suche nach dem Valfångare machten. So hieß die Kneipe, in der sie den norwegischen Kontaktmann treffen sollten, in Erinnerung an die Blütezeit des Walfanges, der noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine große Rolle für Smögen gespielt hatte.
In einer düsteren Seitengasse in der zweiten Reihe hinter der Hafenpromenade entdeckten sie schließlich ein verwittertes Holzschild, aus dessen blasser, abblätternder Bemalung nur mit Mühe ein Pottwal und ein besegeltes Fangschiff zu erkennen waren, und schon beim ersten Blick durch die trüben Scheiben der Kaschemme war klar, dass die Blütezeit dieses Etablissements mindestens genauso lange zurücklag wie die der Walfänger selber.
»Sprich möglichst wenig«, sagte Lina leise und sah sich um. »Besser, sie merken nicht, dass du ein Deutscher bist.«
Ole nickte. Nicht zu sprechen fiel ihm gemeinhin nicht schwer. Es war Punkt acht Uhr, als sie eintraten.
Obwohl es draußen noch taghell war, herrschte in der Kneipe ein düsteres Zwielicht. Die wenigen Gäste, drei am Tresen, zwei an einem Tisch in der Ecke, machten allesamt keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Allerdings schien keiner von ihnen der Kontaktmann zu sein, denn außer ein paar missbilligenden Blicken und getuschelten Bemerkungen ernteten sie keine weitere Aufmerksamkeit.
Lina nickte zu einem Tisch am Fenster.
»Setzen wir uns«, sagte sie leise. »Er wird sicher gleich kommen.«
Dann rief sie laut und auf Schwedisch zum Tresen hinüber, dass sie gerne etwas zu trinken hätte.
Der Wirt, ein stoppelhaariger, stiernackiger Kerl mit Ohrringen, tätowierten Armen und einer langen, quer über sein Gesicht verlaufenden Narbe, ließ sich aufreizend viel Zeit, bevor er eine Flasche und zwei schlecht gespülte Gläser an ihren Tisch brachte.
»Was ist das?«, flüsterte Ole, als der Wirt wieder hinter dem Tresen verschwunden war.
»Aquavit«, antwortete Lina und schenkte je zwei Fingerbreit der klaren Flüssigkeit in die schmuddeligen Gläser.
Der Schnaps brannte in der Kehle und Ole beschloss sofort, es bei diesem einen Glas zu belassen.
Lina schien zunächst überhaupt nichts trinken zu wollen. Ole wunderte sich, warum sie das Zeug überhaupt bestellt hatte, als sie ihr Glas hob und laut in den Raum fragte: »Någon här, som är med oss på välfärden i Prince Harald drycker?«
Es gab keine Antwort, nur ein paar befremdete Blicke der Männer am Tresen. Lina leerte ihr Glas allein. Auch Ole sah sie fragend an.
»Das war unsere Losung«, flüsterte sie. »Ein Trinkspruch auf den jüngsten Enkel von König Haakon. Wenn einer von denen da Askildsen wäre, hätte er mit einem Toast auf das zweite Enkelkind antworten müssen, Prinzessin Astrid.«
Oles Unbehagen wuchs. Mit jeder weiteren ereignislos verstrichenen Minute war er sich sicherer, dass hier etwas nicht stimmte.
»Er kommt nicht«, flüsterte er, als die Uhr über der Tür zwanzig vor neun zeigte. »Lass uns verschwinden!«
Lina schien zu überlegen. Dann nickte sie.
»Betala!«, rief sie laut.
Wieder ließ der stiernackige Wirt sich reichlich Zeit, bis er sich endlich zu ihrem Tisch bequemte. Als er die Gläser und die Flasche von ihrem Tisch sammelte, verlangte er 10 Kronen. Was eine Unverschämtheit für zwei Gläser Schnaps war.
Lina legte zwei Fünf-Kronen-Scheine auf die schmierige Tischplatte, hielt aber die noch fast volle Flasche Aquavit fest. Soweit Ole verstand, betrachtete sie die Flasche bei diesem saftigen Preis als ihr Eigentum.
Plötzlich entblößte der Wirt sein lückenhaftes Gebiss in breitem Grinsen und sagte mehrere kurze Sätze, in denen mehrmals der Name Askildsen vorkam. Dann drehte er sich um und verschwand in der Küche.
Mit finsterem Gesicht steckte Lina die Flasche in den Rucksack und stand auf. Ole folgte ihr hinaus.
»Was hat er gesagt?«, fragte er, als sie wieder draußen an der frischen Luft standen.
»Dass Askildsen auf uns wartet. In einem Schuppen unten am Hafen.«
Diese Wendung gefiel Ole überhaupt nicht. Noch weniger
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