Die Farbe der See (German Edition)
Achseln. Wie sollte er diese Frage beantworten, wo er es doch selber nicht wusste. Richard knuffte ihn vertraulich an.
»Bist dem Konteradmiral so lange um den Bart gegangen, bis der dich rausgehauen hat, damit du nicht an die Front musst, stimmt’s? Weil ihr so gute Kumpel seid, du und er? Komm schon, deinem alten Freund Korfmann kannst du das doch sagen! Ich hab kein Problem damit. Vitamin B ist ’ne feine Sache!«
Ole starrte Richard verständnislos an. Was zum Teufel meinte er mit Vitamin B?
»Jetzt glotz nicht so! Ist ja nicht so, dass ich’s dir nicht gönne!«
Korfmann strich sich mit altbekannter Geste die blonden Haare aus der Stirn.
»Nur um meine Magenschleimhaut tut’s mir jetzt schon leid!«
Mit einer lässigen Handbewegung schüttete er seine Suppe in Oles Schale und verschwand.
Ole hatte schon fast vergessen, wie es sein konnte, wenn man mit Korfmann befreundet war. Von einem Augenblick auf den nächsten konnte er von herzlicher Freundlichkeit auf grandiose Arroganz umschalten. Trotzdem war Ole froh, dass Richard an Bord war.
Erst nachdem der Abwasch erledigt und die Kombüse aufgeklart war, traute sich Ole zurück an Deck. Dort durfte er, zu seiner großen Freude, Richard und den anderen Kadetten bei den zahlreichen Segelmanövern zur Hand gehen.
Endlich wieder Segeln!
Was konnte es überhaupt Schöneres geben? Den ganzen Nachmittag über wurden auf der Fahrt nach Norden Wenden, Halsen, das Ein- und Ausreffen der Segel sowie das beliebte Boje-über-Bord-Manöver »gepaukt«, mit dem die Bergung eines über Bord gefallenen Besatzungsmitglieds geübt wurde. Nach der leidigen Kombüsenarbeit war das eine wahre Befreiung.
Zumal die Segeleigenschaften der Skagerrak tatsächlich noch spektakulärer waren, als Ole es erwartet hatte. Wie riesige Flügel wölbten sich die Segel über ihnen in den Himmel und zogen das Schiff kraftvoll durch die Wellen. Acht, neun Knoten hoch am Wind mochten es wohl mindestens sein. Und das, obwohl nicht mal besonders viel Wind war. Wann immer es ein kleines bisschen auffrischte, krängte das Schiff willig nach Lee, beschleunigte spürbar und ließ sich das untere Laufdeck von gurgelndem weißem Schaum benetzen. Vor allem raumschots flog die Skagerrak förmlich über die Wellen.
Leider flog auch etwas anderes dahin; nämlich die Zeit bis zu den nächsten Mahlzeiten. Vier waren es an der Zahl, die Ole bis zu ihrer geplanten Rückkehr nach Flensburg noch zu überstehen hatte. Und vier weitere kulinarische Beinahe-Schiffskatastrophen waren das Ergebnis.
Der Nachmittagskaffee geriet Ole dünn wie »Bodensee« – so hatte Richard gespottet, weil er den Boden seiner Tasse sehen konnte – und es wurde allgemein moniert, dass Ole statt eines anständigen, frisch gebacken Kuchens lediglich mit ein paar trockenen Dosenkeksen aufwarten konnte. Das Rührei zum Abendessen war, trotz Oles vergleichsweise reichem Erfahrungsschatz bei der Fabrikation dieses Gerichts, angebrannt und versalzen. Und die wieder aufgewärmte Mittagssuppe schließlich, die es zum Wachwechsel um Mitternacht geben sollte, war trotz verzweifelten Nachbesserns mit einer allzu klumpig geratenen Mehlschwitze noch ebenso ungenießbar wie das Original.
Etwa eine Stunde nach Mitternacht fiel der Anker der Skagerrak in einer ringsum von steilen, bewaldeten Ufern beschützten Bucht im nördlichen Teil der Halbinsel Als. Diese Gegend Dänemarks gehörte schon immer zum bevorzugten Revier deutscher Segler und natürlich auch der Ausbildungsschiffe der Marineschule. Normalerweise ankerten hier um diese Jahreszeit stets mehrere Yachten.
In dieser Nacht jedoch war die Skagerrak, wie im Krieg nicht anders zu erwarten, allein. Das einzige andere Licht, das in der Schwärze der Nacht auf dem Wasser schimmerte, stammte von einem einsamen Bauernhof am oberen Ende der Bucht.
Die Ankerwache wurde eingeteilt, und nach wenigen Minuten, der Tag war lang und anstrengend gewesen, war Ruhe im Schiff eingekehrt. Dennoch lag Ole in seiner neuen Koje im Vorschiff wach. Die Wellen, die seine wundersame »Errettung« nach wie vor in seinem Kopf schlug, kabbelten sich mit der wachsenden Sorge, seine Zeit auf der Skagerrak könnte sich, seiner mangelhaften Kochkünste wegen, weitaus kürzer gestalten als erhofft.
Und dann war da noch etwas, das ihn am Schlafen hinderte. Ein lästiges, ungleichmäßiges Pochen außen an der Bordwand. Irgendjemand hatte wohl das Dingi, mit dem zuvor eine Landleine ausgebracht worden war, um ein
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