Die Farbe der See (German Edition)
interessiert die Karte, die auf dem Tisch lag.
»Aber … dafür haben wir keine Genehmigung vom Oberkommando«, warf Strasser ein. »Wir können noch nicht mal eine einholen, weil das verdammte Funkgerät kaputt ist!«
»Lassen Sie das getrost meine Sorge sein«, knurrte von Wellersdorff. »Wir haben noch eineinhalb Wochen Ausbildung vor uns. Ich gedenke nicht, die damit zu vergeuden, immer nur zwischen Kiel und Flensburg hin- und herzugondeln.« Dann setzte er mit deutlichem Sarkasmus hinzu: »Jetzt, wo unser geliebter Führer die Ostsee für uns erobert hat. Quasi im Handstreich und ganz ohne Verluste.«
»Ich muss mich entschieden gegen diesen Tonfall verwehren!«, schnappte Strasser und nahm unwillkürlich Haltung an. »Der Führer hat …«
»Der Führer hat mit seinem überhasteten, unüberlegten Vorgehen in Norwegen ein Viertel unserer einsatzfähigen schwimmenden Verbände auf den Meeresgrund geschickt!«, unterbrach ihn von Wellersdorff grob. »Also kein Wort mehr darüber, verstanden? Wir segeln nach Norden. Und jetzt, gute Nacht, Herr Kapitänleutnant.«
Ohne weiteres Wort drehte sich Strasser um. Sein ohnehin schon rot geädertes Gesicht leuchtete vor Ärger wie ein Backbord-Positionslicht.
Aber der Konteradmiral war noch nicht fertig mit ihm. Kurz bevor der Kaleu die Tür geöffnet hatte, schoss er noch eine Salve ab.
»Ach ja, eine Sache noch … Sie haben nach dem Grund gefragt, warum der Matrose Storm an Bord dieses Schiffes bleibt?«
»Allerdings.«
»Weil er etwas kann, mit dem selbst Sie, mein lieber Strasser, Ihre liebe Not haben. Von unseren formidablen Kadetten ganz zu schweigen.«
»Ach, und das wäre?«
»Er kann segeln!«
Ole zuckte zusammen, als die Tür zur Achterkammer ins Schloss knallte. Das unbestimmte Gefühl beschlich ihn, dass der Konteradmiral ihm mit diesem Lob einen Bärendienst erwiesen hatte. Für die weitere Reise, so viel war klar, würde Kaleu Strasser sein unverbrüchlicher Feind sein.
Hastig ging Ole zurück zur Vorschiffsluke. Der Posten am Ankerspill, das verriet ein leises Schnarchen, war nun tatsächlich eingeschlafen. Gut so. Besser, niemand wusste etwas von Oles Ausflug aufs Achterdeck.
Gerade als er das Vorluk anhob und darunter abtauchen wollte, sah Ole im Cockpit eine Bewegung. Rasch duckte er sich hinter den Mast.
Als er einen Augenblick später nach achtern lugte, war der Schatten verschwunden. Und mit ihm das Dingi, das Ole dort angebunden hatte.
Aus der Dunkelheit hinter dem Schiff drang das leise Geräusch von Ruderdollen und ins Wasser tauchender Riemen zu ihm herüber. Jemand ruderte heimlich an Land. Blonde Haare. Das war alles, was Ole erkannte.
5. Kapitel
DUNKELGRÜN
Es war einer jener seltenen Tage, an denen die See in ihrem prachtvollsten Dunkelgrün leuchtete wie ein Smaragd. Ein Grün, das ihr Wasser tiefer und geheimnisvoller erscheinen ließ, als es die reine Distanz zum Meeresboden hergab. Das noch einen Rest vom Schwarz der Regenwolken in sich trug, die vom frischen Wind zum Horizont geblasen worden waren, und gleichzeitig schon das hellere Blau des Himmels widerspiegelte, das so typisch war für die Ostsee, wenn die klare Luft auf der Rückseite einer Wetterfront über sie hinwegwehte.
Bei stetig auffrischendem Nordwest segelte die Skagerrak hoch am Wind den Kleinen Belt hinauf. Weil er keine anderen Pflichten mehr an Bord hatte und weil ihm niemand eine andere Anweisung gegeben hatte, packte Ole nach Kräften bei den Segelmanövern mit an.
Im Moment saß er neben seinem Clubkameraden Richard Korfmann auf der hohen Kante und beobachtete voller Zufriedenheit die schräg von vorne heranrollenden Wellen. Die Kämme waren in der letzten halben Stunde zusehends glasiger geworden und hier und da waren erste weiße Schaumkämme zu sehen. Hin und wieder leckte eine der Wellen am Bug empor und warf Gischtfontänen hinauf, die der Fahrtwind nach achtern trug. Richard und die übrigen Kadetten zogen jedes Mal die Köpfe ein und drehten ihre Gesichter in die Kapuzen ihres Ölzeugs. Ole duckte sich nicht. Viel zu sehr genoss er dieses salzige Beißen und Prickeln in den Augen. Wie sehr hatte er das vermisst!
Grün war die See, und grün war die Hoffnung. Hieß es nicht so? Ole jedenfalls konnte sich keine bessere Farbe vorstellen, um das Gefühl der Erleichterung zu beschreiben, das in ihm keimte, seit er an Bord der Skagerrak dem Krieg davonsegeln durfte.
Auch die belanglosen Plaudereien, die Richard inzwischen mit ihm geführt hatte,
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