Die Farbe der See (German Edition)
an Land?«, fragte er leutselig.
»Ganz famos«, antwortete Ole und konnte nicht verhindern, dass ihm die nächste Frage etwas spitz herausrutschte: »Und du? Was hast du hier an Bord gemacht?«
Der Blick, den Korfmann ihm zuwarf, erinnerte Ole einen winzigen Moment lang an den Augenblick vor einem halben Jahr, als Richard ihn im Kaisersaal des Kieler Yachtclubs quer über den Tisch taxiert hatte. Kühl, misstrauisch, abschätzend. Aber noch schneller als damals trat auch diesmal wieder jenes jungenhafte, verschwörerische Grinsen auf Richards Gesicht. Von allen Angewohnheiten Richards war dies diejenige, die Ole am meisten verwirrte: wie schnell er von einer auf eine andere Stimmung umschalten konnte.
»Na, was wohl? Ich hab was Hochprozentiges gesucht!«, antwortete er und klopft Ole jovial auf die Schulter. »Allerdings ist mir wohl jemand zuvorgekommen und hat das alte Versteck von Obermaat Fleck geplündert.«
Ole verstand.
»Wenn du den Weinbrand meinst«, antwortete er, »den hat sich der Decksmeister nach achtern geholt, als Schmierstoff zur Reparatur des kaputten Funkgerätes.«
»Ach so, das erklärt natürlich alles!«, sagte Richard und grinste.
Ole runzelte die Stirn.
»Alles … außer der Frage, was der Kaleu dort gesucht hat. Der war nämlich auch da und hat in sämtlichen Schapps rumgewühlt. Kannst du dir das erklären?«
Einen Augenblick lang schien Richard ernsthaft besorgt zu sein, dann zuckte er die Achseln.
»Das Signalhandbuch wahrscheinlich«, sagte er. »Offensichtlich hat er vor, uns morgen oder irgendwann damit im Unterricht zu quälen. Er hat mich danach gefragt, und ich hab ihm gesagt, dass ich glaube, der Konteradmiral hätte es in seiner Kammer.«
Ole nickte.
Dann ging ihm etwas anderes durch den Kopf. Was wohl der Konteradmiral sagen würde, wenn er seinen Decksmeister in dieser Verfassung an seinem Kartentisch vorfinden würde? Besser er ging, um Rausch zu wecken.
Als Ole in die Achterkammer kam, fand er Rausch mit seinem kahl rasierten Schädel auf den Kartentisch gesackt, was seinem Schnarchen einen noch besseren Resonanzboden verschaffte.
Richard war Ole gefolgt.
»Donnerwetter!«, sagte er nun und betrachtete die Flasche. »Was so ein harmloser Weinbrand mit so einem gestandenen Salzbuckel anstellen kann … He, Decksmeister, Reise Reise!«
Energisch rüttelte er den Segelmacher am Ärmel, brachte aber nicht viel mehr als ein unwilliges Knurren aus ihm heraus.
Ole schüttelte den Kopf.
»So wird das nix. Komm, pack an!«
Vorsorglich schob er die Werkzeuge und die ausgebauten Innereien des Funkgerätes zur Seite und zerrte Rausch mit Kraft aus der Navi-Ecke heraus. Richard packte von der anderen Seite mit an.
»Uff«, stöhnte Korfmann, »Stockbesoffen, das Aas! Na ja, nomen est omen!«
»Was für ein Omen?«
»Mann, Storm, was bist du nur für ein Schlaukopf … Rausch … Voll-Rausch! Kapiert?«
»Ah so …«
Schnaufend bugsierten sie den Segelmacher durch den Mittelgang in den Salon und weiter durch die Kombüse ins Vorschiff. Dort ließen sie ihn wie einen nassen Sack auf seine Koje plumpsen.
»Na ja, ich geh dann auch mal auf Matratze. Gute Nacht!«
Damit war Richard verschwunden.
Ole wickelte Rausch gnädig in eine grobe Wolldecke ein und schob ihm seinen ledernen Kautabaksbeutel als Kopfkissen unter. Dann fiel ihm die Weinbrandflasche und das Glas ein, die noch auf dem Kartentisch in von Wellersdorffs Kammer standen. Die musste der Konteradmiral ja auch nicht unbedingt zu sehen bekommen.
Also schlich sich Ole noch einmal nach hinten und holte beides in die Kombüse. Die Flasche ließ er in ihrem Fach im Schrank verschwinden, das halb volle Glas trank er kurzerhand selber aus.
Der Weinbrand hinterließ einen seltsamen Nachgeschmack auf seiner Zunge, und als Ole wenige Augenblicke später ausgestreckt auf seiner Koje lag und sich alles um ihn zu drehen begann, wurde er sich vage bewusst, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte.
Doch dann war er auch schon fest eingeschlafen.
*
Am nächsten Morgen ließen Oles Kopfschmerzen erst nach, als die Skagerrak das enge, gewundene Fahrwasser des Kleinen Beltes bereits weit hinter sich gelassen hatte. Doch damit befand Ole sich ganz offensichtlich in guter Gesellschaft. Gut die Hälfte der Kadetten sah so aus, als hätten sie zu tief ins Glas geschaut. Heribert Rausch hatte sich gleich nach dem Frühstück mit zerknittertem Gesicht und einer fadenscheinigen Ausrede in die Vorpiek zurückgezogen. Und
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