Die Farbe der See (German Edition)
Seite dicht gezogenen Segeln quasi auf der Stelle treiben ließ.
Mitten in diesem seltsamen, nebelumwaberten Tanz, in dem sich die Skagerrak und ihr Verfolger umeinander drehten, tauchte Kaleu Strasser im Cockpit auf. Offensichtlich hatte er die mehrfachen Kurswechsel anhand der Schiffsbewegungen bemerkt.
»Darf ich erfahren, was hier vor sich geht?«, fragte er unwirsch.
»Das sehen Sie doch, Herr Kaleu!«, antwortete von Wellersdorff aufgeräumt. »Segelmanöverübung.«
Strasser wandte sich ab und starrte mit finsterem Blick in den Nebel hinaus. Das Motorengeräusch war inzwischen erheblich leiser geworden und schien sich nun, nach dem »Bremsmanöver« des Konteradmirals, vollends in die falsche Richtung zu verlaufen.
Ole begriff, dass der Kapitänleutnant ebenfalls von der Anwesenheit ihres Bewachers gewusst haben musste und nun alles andere als erfreut darüber war, dass von Wellersdorff es geschafft hatte, ihn abzustreifen. Und noch eine Sache wurde Ole klar, als er das dünne, freudlose Lächeln von Wellersdorffs bemerkte: Auch für den Konteradmiral war das Spielchen, das er mit ihrem Verfolger trieb, weitaus mehr als nur eine segeltaktische Denksportaufgabe.
Am späteren Nachmittag war es der Sonne doch noch gelungen, die Oberhand über den Seenebel zu gewinnen. Und mit den grauen Schwaden hatte sich auch jeder Zweifel aufgelöst, ob ihr unheimlicher Verfolger noch einmal auftauchen würde. Er war verschwunden wie ein böser, grauer Geist, der nur im Schutze der kalten, feuchten Nebel hatte existieren können.
Auch der Wind war wieder etwas aufgefrischt und hatte zurück auf West gedreht. Mit guter Fahrt und ohne kreuzen zu müssen, arbeitete die Skagerrak sich stetig weiter nach Norden. Nicht auf der sonst üblichen Strecke im Großen Belt, wie Ole aufgefallen war, sondern im etwas abgelegeneren, durch weitere Untiefen und Inseln verzweigten Fahrwasser an der Westküste der Insel Samsø hinauf.
»Wie weit nach Norden wollen Sie noch?«, hatte Strasser voller Missbilligung gefragt, als sie am frühen Abend die schöne Insel Tunø mit ihrem kleinen Fischerei- und Fährhafen und der geschützten Außenreede passiert hatten, ohne dass der Konteradmiral Anstalten gemacht hatte, die Fahrt zu unterbrechen.
»Wir segeln die Nacht durch«, war von Wellersdorffs knappe Antwort gewesen. Wohin hatte er nicht gesagt. Offensichtlich war er fest entschlossen, sich nicht in die Karten sehen zu lassen.
»Sie müssen ja wissen, was Sie tun«, hatte Strasser geknurrt. »Sie tragen die Verantwortung.«
Wieder so eine Äußerung, dachte Ole, die auch als Drohung verstanden werden konnte.
Mit Hereinbrechen der Dunkelheit hatte der Konteradmiral die Segelwache für die Nacht auslosen lassen. Ole zog die Runde von Mitternacht bis um vier Uhr früh, die allgemein als »Hundewache« bekannt und entsprechend wenig beliebt war. Während Karl, den das gleiche Los ereilt hatte, noch mit der zu erwartenden schlechten Sicht und den niedrigen Temperaturen haderte, freute sich Ole. Er segelte gerne in der Nacht. Vor allem wenn der Himmel im Norden, wie um diese Jahreszeit in dieser Breite üblich, kaum wirklich dunkel war.
Nach einem flüchtigen, im Stehen eingenommen Abendessen aus einer dünnen Suppe ging Ole vorsorglich in die Koje, um zur Mitternacht hin halbwegs ausgeschlafen zu sein.
Als Richard, der zur früheren Wachmannschaft gehörte, ihn kurz vor Mitternacht unsanft weckte, bemerkte Ole als Erstes den Seegang.
»Wo sind wir?«, fragte er.
»Zehn Meilen südöstlich von Grenå.«
Ole war verwundert. Die dänische Hafenstadt Grenå lag bereits am Kattegatt.
»So weit oben? Was wollen wir denn da?«
»Woher soll ich das wissen? Und wenn du glaubst, dass der Alte in Grenå einlaufen will, hast du dich geschnitten!«
Richard schien eindeutig schlechte Laune zu haben. Seine Stimmungsschwankungen waren Ole von früher her noch bestens bekannt. Mal war er der beste Freund, mal der arrogante, abweisende Schnösel, den der Segelmachermeister stets in ihm sah. Die Ruppigkeit, die er Ole gegenüber nun an den Tag legte, war vielleicht auf eine lange, unerquickliche Segelwache zurückzuführen.
»Wohin fahren wir dann?«, fragt Ole vorsichtig.
»Da bleibt wohl nicht mehr viel, oder?«, antwortete Richard grimmig. »Anholt! Und jetzt sieh zu!«
Bevor Ole noch etwas fragen konnte, war Richard bereits aus der Vorpiek verschwunden.
Ole setzte sich aufrecht hin und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Draußen hinter dem
Weitere Kostenlose Bücher