Die Farbe der See (German Edition)
dänische Mädchen »klarieren« zu wollen.
Aber Oles Sorge war unbegründet.
Der Schankraum der Gaststätte war bis auf drei ältere Männer leer, Bauern oder Fischer vermutlich, die ihnen vom Ecktisch her lediglich ein paar finstere Blicke zuwarfen, sich dann aber nicht weiter um sie kümmerten. Und das einzige »Mädchen«, das es hier gab, war die etwa vierzigjährige, eher stämmig gebaute Wirtin.
Ole, der ein paar Brocken Dänisch konnte, bestellte »to store Øl«, und wenige Augenblicke später standen zwei große Krüge des einheimischen Gerstengebräus vor ihnen auf dem Tresen.
»Mensch, Junge, du bist zu gebrauchen!«, lobte Karl.
Als Ole sich mit einem »mange Tak« bedankte, grinste die Wirtin breit, antwortete »Wohl bekomm’s!« und begann, in fließendem Deutsch Konversation mit ihnen zu machen. Über ihre schicken Uniformen, mit welchem Schiff sie hier seien, wohin sie segeln würden, und so weiter. Karl erteilte begeistert Auskunft und tat alles, um die Gunst der Wirtin zu erringen. Ob deren kokette Fröhlichkeit aufrichtig war oder eher einer wohl kalkulierten Geschäftstüchtigkeit entsprang, wusste Ole nicht zu sagen. Aber als Karl und er schnell das zweite und danach das dritte Bier vor sich stehen hatten, ohne selbige bestellt zu haben, bestand für Ole kein Zweifel mehr, woher der Wind wehte.
Während Karl sich weiterhin mächtig bei der Wirtin ins Zeug legte, zog sich Ole vom Tresen in eine Nische am Fenster zurück und blickte hinaus. Er hatte das dringende Bedürfnis nach einem klärenden Gespräch mit Meister Rausch, und solange noch alle anderen an Land waren, war die Gelegenheit dazu günstig. Er trank aus, winkte Karl kurz zu und ging.
Eine Viertelstunde später war Ole am Schiff. Es war bereits halb elf geworden, und Ole fragte sich, ob Rausch nicht schon längst in die Koje gegangen war.
Aus dem Skylight über der Kammer des Konteradmirals drang Licht. Richtig, Rausch hatte ja das Funkgerät reparieren wollen. Lautlos schlich Ole über die Laufplanke an Deck, um durch einen Blick von oben festzustellen, ob er einen günstigen Moment bei seinem alten Meister erwischen würde oder nicht.
Aber Rausch saß am Kartentisch des Konteradmirals und schlief. Sein Schnarchen drang bis zu Ole an Deck herauf. Vor ihm lagen Werkzeuge und ein Bauteil des defekten Funkgerätes, das er zur Reparatur halb aus seiner Verankerung in der Schottwand gezogen hatte. Daneben konnte Ole ein halbvolles Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit erkennen, sowie die dazugehörige Flasche Weinbrand.
Aber das war es nicht, was Ole verblüffte.
Außer dem schlafenden Segelmacher war noch jemand anders in der Kammer des Konteradmirals: Kaleu Strasser!
Ganz offensichtlich kümmerte er sich nicht um Rausch, sondern war damit beschäftigt, irgendetwas zu suchen. Systematisch öffnete er Schapps und Schränke und kramte darin herum. Jetzt nahm er sogar das Kojenpolster und die Bodenbretter hoch! Was zum Kuckuck glaubte Strasser da zu finden? Von Wellersdorffs Sparstrumpf?
Ole überlegt kurz, dem Konteradmiral bei seiner Rückkehr von seiner Beobachtung zu berichten. Aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Er hatte bereits genug Ärger an Bord losgetreten. Und wenn der Kaleu meinte, an Bord herumspuken zu müssen, würde er den Teufel tun und ihm dabei in die Quere kommen.
Plötzlich vernahm Ole Lärm auf der Pier. Eine Gruppe angeheiterter Kadetten kam vom Gasthaus zurück. Auch der Kaleu in der Achterkammer hatte wohl etwas gehört, denn er hielt inne und hob den Kopf.
Schnell zog sich Ole vom Skylight zurück und setzte sich in unverfänglicher Pose ins Cockpit, als wolle er hier lediglich vor dem Schlafengehen noch ein wenig frische Luft schnappen. Dann wartete er. Als die Kadetten über die Laufplanke an Bord gepoltert kamen, grüßte er einige von ihnen und folgte ihnen unauffällig unter Deck.
Am Fuß des steilen Niedergangs angekommen, sah er gerade noch, wie Kaleu Strasser aus von Wellersdorffs Kabine kam, sich an einigen der Offiziersanwärter vorbeidrückte und in seiner eigenen Kammer verschwand. Ole konnte hören, wie von innen der Schlüssel herumgedreht wurde.
Als sich die Truppe der Offiziersanwärter bierselig eine gute Nacht gewünscht und in ihre Kojen verzogen hatte, stand plötzlich Richard vor ihm. Ole runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, dass Korfmann mit den Übrigen an Bord gekommen war. Also musste er bereits zuvor hier gewesen sein.
»Na, Storm, wie war’s
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