Die Farbe der See (German Edition)
machte eine Pause, ob um nachzudenken oder um weiter zu Atem zu kommen, das vermochte Ole nicht zu sagen. Dann fuhr er mit festerer Stimme fort:
»Um wirklich sicherzugehen, dass seine Entdeckung nie zum Einsatz kommen würde, sah er also nur noch eine Möglichkeit: die Sache auch der Gegenseite zugänglich zu machen, den Engländern oder Amerikanern, in der Hoffnung, dass dann keine von beiden Seiten es wagen könnte, die Waffe einzusetzen.«
Von Wellersdorff setzte den Krug erneut an den Mund und trank.
»Dein Segelmachermeister und ich und einige andere waren der Meinung, dass es absolut richtig und notwendig war, ihm dabei zu helfen. Unser erster Anlauf mit dem Bootstransport im September ist, wie du ja weißt, gescheitert. Aber nachdem du uns erzählt hast, was in der Nacht auf dem Schlepper passiert ist, haben wir sofort einen weiteren Versuch gestartet. Leider haben einige Herren in Berlin davon Wind bekommen und uns das Schnellboot auf den Hals gehetzt. Du kannst dir vorstellen, dass es ihnen gewaltig gegen den Strich ging, dass jemand ihr wertvolles Geheimnis an den Feind weiterreicht.«
Ole nickte. Allerdings war ihm eine Sache unklar.
»Aber wenn sie wussten, dass die Pläne an Bord der Skagerrak waren, warum haben sie uns dann nicht einfach versenkt? Mit einem Torpedo vom Schnellboot zum Beispiel, vor Anholt?«
»Gute Frage. Ich glaube, sie wollten auf Nummer sicher gehen. Wahrscheinlich haben sie nur vermutet, dass die Pläne an Bord waren. Außerdem hatten sie ja bereits ihre eigenen Leute auf der Yacht, denen sie nur den Auftrag erteilen mussten, sie zu finden!«
»Korfmann und den Kaleu.«
»Ja. Dass Strasser auf mich angesetzt war, wusste ich schon länger. Deswegen ging von ihm kaum Gefahr für uns aus. Aber dass Korfmann ebenfalls dazu gehörte, habe ich viel zu spät begriffen. Ein Fehler, der mich jetzt teuer zu stehen kommt …«
Der Konteradmiral verstummte und starrte mit gerunzelter Stirn in den leeren Krug, als könne er darin etwas sehen, das ihm zu denken gab. Aber der Krug war leer.
Von Wellersdoff wandte sein Gesicht ab und starrte an die Wand. Auch Ole schwieg betreten. Schließlich brach der Konteradmiral die Stille.
»Ich glaube nicht, dass sie uns noch viel Zeit lassen«, seufzte er. »Wenn du also noch etwas fragen willst, tu es jetzt.«
Ole senkte den Blick. Er hatte bereits zu viele Antworten auf zu viele Fragen bekommen. Verstanden hatte er sie alle, geholfen hatte ihm keine einzige.
Dennoch hatte er das unbedingte Bedürfnis, etwas anzusprechen. Nicht, um es zu verstehen, sondern einfach nur, um darüber zu reden.
»Lina …«, begann er und sah, wie ein feines, wissendes Lächeln um die Mundwinkel des Konteradmirals trat.
Besser, er versteckte seine Sorge doch in einer Frage.
»Was hat sie mit der Sache zu tun?«
»Sie ist eine von Sønstebys engsten Vertrauten innerhalb seiner Widerstandsgruppe. Sie schaffen Norweger, die seit der Besatzung in ihrem Land verfolgt werden, über die Grenze nach Schweden. Politiker, Juden, Literaten und Künstler, egal. Jeden, der in Norwegen um sein Leben bangen muss. Keine ganz ungefährliche Sache.«
»Dann sind Lina und ihr Vater auch Norweger?«
»Nein, sie sind Schweden. Allerdings ist Frederik nicht ihr Vater, nur ihr Professor.«
Ole starrte den Konteradmiral überrascht an.
»Sønstebye lehrt Physik an der Universität in Stockholm. Sie war seine Studentin, bevor sie sich gemeinsam politisch engagierten. Er gibt sie als seine Tochter aus, weil … nun ja, weil es einfacher ist. Wenn ein Mann seines Alters ein vertrauliches Verhältnis zu einem jungen Mädchen pflegt, gibt es leicht Gerede. Du verstehst.«
Ole verstand. Und spürte umgehend ein unangenehmes, saures Gefühl in sich aufsteigen.
»Aber, ich denke, sie ist verlobt?«
»Siehst du, und genau deswegen gibt er sie als seine Tochter aus«, antwortete von Wellersdorff. »Damit niemand auf falsche Gedanken kommt! Sie ist mit Frederiks Vorschoter verlobt, an den du dich vielleicht noch von Kiel her erinnerst.«
»Sigur Johannson …«, antwortete Ole tonlos.
»Auch er ist einer von Frederiks Studenten und ein Widerstandskämpfer. Du siehst, es besteht kein Grund zur Sorge!«
Ole war insgeheim anderer Meinung. Und auch das säuerliche Gefühl, das von seinem Magen her aufstieg, war durch Sigurs Erwähnung eher noch stärker geworden.
»Glauben Sie, sie hat es geschafft?«
»Nach allem, was Frederik mir über sie erzählt hat, ist sie eine erstaunliche
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