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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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geschlagen. Oles Blick ging von ihr zu Rausch zurück, und er sah, wie der Segelmacher nach vorne in die Knie ging. Erst jetzt begriff er, dass es wirklich passiert war, und der Schock fuhr ihm schneidend heiß durch die Eingeweide, als hätte auch er eine Kugel abbekommen.
    Ole stieß seinen Bewacher zur Seite und sprang nach vorne, um Rausch zu stützen. Auch von Wellersdorff war sofort bei ihnen. Gemeinsam setzten sie den Segelmacher behutsam an Deck. Die Hände, mit denen Ole den massigen Oberkörper des Segelmachers stützte, fühlten warmes Blut. Voller Entsetzen nahm er die schnell größer werdende rote Lache wahr, die sich an Deck bildete. Schon nach wenigen Augenblicken hatte sie das nächste Speigatt erreicht und rann von dort aus ins Wasser hinunter. Hellrotes Blut auf dem blütenweißen Rumpf.
    »Heribert!«, sagte von Wellersdorff leise und strich dem Segelmacher fast zärtlich über die Stirn. »Mensch, was machst du für einen Quatsch? Das war meine Kugel!«
    »Ich hab doch gesagt, ich halt sie für dich auf!«, antwortete Rausch mit brüchiger Stimme und versuchte, ein Grinsen zustande zu bringen. Der Versuch misslang gründlich und endete in einem schmerzhaften Hustenanfall.
    Hilfesuchend blickte Ole zu Lina auf, aber dort, wo sie zuvor noch gestanden hatte, war sie nicht mehr zu sehen.
    Stattdessen kehrte in diesem Augenblick Richard an Deck zurück. Undeutlich und wie von Ferne hörte Ole, wie er Strasser kräftig zusammenstauchte. Nicht, weil er auf einen wehrlosen Mann geschossen hatte, sondern weil er riskiert hatte, von Wellersdorff zu treffen. Und dessen Unversehrtheit als mutmaßlicher Drahtzieher des Verrats war für Richard und seine eigenen Pläne von größter Wichtigkeit. Rauschs sinnloser Tod schien ihn nur insoweit zu berühren, als er den Segelmacher nun nicht mehr verhören konnte.
    Dieser Zynismus machte Ole fassungslos, und die Wut ließ seinen Magen zu einem kalten, harten Klumpen zusammenschrumpfen.
    »Lass gut sein, Junge«, brummte Rausch und der Blick aus den klugen blauen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er Oles Gefühle hatte lesen können. »Ist schon genug, wenn sie einen von uns …«
    Der Rest ging in einem abermaligen Hustenanfall unter, und diesmal blieb ein dünnes rotes Rinnsal in Rauschs Mundwinkeln zurück.
    »Können wir denn gar nichts tun?«, fragte Ole verzweifelt und suchte den Blick des Konteradmirals, obwohl er längst wusste, dass es nichts mehr zu tun gab, als dem Freund die Hand zu halten.
    »Nein«, sagte von Wellersdorff leise und schüttelte langsam den Kopf. »Er lichtet die Anker.«
    Dann strich er dem Segelmacher abermals über die Stirn.
    »Gute Fahrt, Heri, grüß mir die Kieler Förde!«
    »Ja, die Förde …«, hauchte Rausch, und jetzt gelang ihm doch noch ein Lächeln.
    Die kleinen blauen Augen gingen weiter zu Ole.
    »Junge, wenn du heimkommst …«
    Rausch verstummte abrupt und runzelte die Stirn, als habe er vergessen, was er sagen wollte. Instinktiv griff Ole nach der Hand, mit der Rausch suchend nach der seinen tastete.
    Von einer Sekunde auf die nächste wurde das Gesicht des Segelmachers aschgrau, und die Pranke, mit der er Oles Hand umklammert hielt, verkrampfte sich zu einem eisenharten Griff. Suchend wanderten seine Augen nach oben in den Mast, als wolle er vor dem Auslaufen noch ein letztes Mal den Stand der Segel oder die Richtung des Windes prüfen.
    Dann brach sein Blick.
    Einen langen Moment war es absolut still an Bord der Skagerrak. Keiner bewegte sich oder sprach ein Wort, nicht einmal Korfmann oder Strasser. Dann schrie plötzlich einer der Matrosen: »Das Mädchen! Das Mädchen ist weg!«
    Ole wischte sich irritiert die Tränen aus dem Gesicht. Hektisches Rufen und Rennen war zu hören, als das Deck nach ihr abgesucht wurde.
    »Sie ist weg!«, meldete der rotbärtige Oberleutnant. »Und unten kann sie auch nicht sein! Ich habe die ganze Zeit am Niedergang gestanden!«
    »Das verdammte Miststück ist ins Wasser geklettert, als der Glatzkopf den Löffel abgegeben hat!«, knurrte Strasser. »Verflucht, wieso hat das keiner gemerkt?«
    »Worauf wartet ihr noch, ihr Mehlaugen?«, schrie Richard zornig. »Nehmt das Boot und sucht sie! Weit kann sie ja nicht sein!«
    Mehrere Männer des Schnellbootes sprangen in die Barkasse und legten sofort ab. Die übrigen verteilten sich an Deck und auf dem Aufbau.
    »Glauben Sie, sie hat die Pläne bei sich?«, fragte Strasser.
    »Blödsinn! Das hätten wir ja wohl gesehen, wenn sie

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