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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Geschäfte.
    Im Kampf zwischen der Angst vor der »Treppe zur Hölle« und dem Verlangen nach Reichtum siegte immer öfter das Verlangen. Und so lagerten fast jede Nacht Glücksritter an Charlies Feuer, aßen seinen Taubeneintopf und suchten das Manuka-Gebüsch auf. Seine sechs Pennies, die er pro Nacht für Bett, Verpflegung und Feuer verlangte, wuchsen allmählich zu einem hübschen kleinen Berg an. Und da beschloss Charlie Wilde, den Preis um einen lustigen halben Penny zu erhöhen, den ihm niemand übel nehmen würde. Es gefiel ihm, die Worte »sechs und ein halber Penny« zu sagen. Er fand, die Worte hätten etwas Tänzerisches. Sechs und ein halber la la la!
    Die halben Pennies bewahrte Charlie getrennt von den Sechs-Penny-Münzen auf, denn mit ihnen hatte er andere Pläne. Das war Extrageld. Geld, das niemand sah. Und wenn es eines Tages mit dem Goldfieber vorbei war, würde er dieses Geld für etwas ganz Besonderes ausgeben. Dieses »Besondere« änderte sich mit jedem Tag. Manchmal war es ein spanisches Mädchen mit Kamelien im Haar. Manchmal war es ein Boot mit einem scharlachroten Segel. Und manchmal auch ein seltsamer, ein wunderbarer Verkaufsstand, hoch wie ein Minarett. Und was würde er dort verkaufen? Gläser mit bernsteinfarbenem Wein, die er seinen Kunden an einem Seil hinunterlassen würde? Fläschchen mit Opium? Brieftauben? Hüte?
    Häufig glitt er beim Ausbrüten einer neuen ausgefallenen Idee für seinen Laden in einen wohligen Schlaf. Er hatte keine Eile mit der Ausführung dieser Ideen. Vielleicht auch, weil er begriff, dass das Ausdenken einer Idee mindestens genauso befriedigend war wie ihre handfeste Realisierung. Derweil türmten sich die halben Pennies, und Charlie betrachtete ihr Wachstum mit Vergnügen. Auf zwölf Goldsucher, die den halben Extrapenny bezahlten, kam jetzt immer ein unsichtbarer dreizehnterGoldsucher (den er nicht versorgen musste), der auf wundersame Weise obendrauf den alten Preis von sechs Pennies zahlte.
    »Ich hätte viel früher Geschäftsmann werden sollen«, sagte Charlie Wilde sich. »Erfolg im Geschäft heißt, dass man, was vorhanden ist, zahlen lässt für das, was nicht vorhanden ist, oder, umgekehrt, dass man, was nicht vorhanden ist, für etwas zahlen lässt, was da ist. Ich hätte verdammt noch mal fast meinen Beruf verfehlt.«
III
    Zu der Zeit, als Harriet auf der Orchard-Farm weilte, erreichten John Shannon und Francis Fairford, zwei Männer von den Lyttelton-Werften, die Hurunui-Schlucht.
    Fairford, ein Einwanderer aus dem englischen Dover, war ein Mann von vierundfünfzig Jahren. Die Docks von Dover waren sein Leben gewesen, bis er an einem Tag im Februar beschloss, nun sei es genug mit Hagel und salzigem Wind und dem Geruch nach Heringen, und einen billigen Platz auf einem Schiff nach Neuseeland buchte. Er hatte nie geheiratet, und Kinder besaß er auch nicht. Er sei »hart«, erklärte er seinen Kollegen, »kampflustig wie eine verdammte Seemöwe«, weshalb er bald »Flinty«, der Steinharte, hieß. Doch unter seiner legendären Härte wuchsen die Angst, er könnte arm sterben, da seine jämmerlichen Ersparnisse längst für Schnaps und Frauen draufgegangen waren, und das Gefühl, er hätte sein Leben verpfuscht.
    Shannon, den alle »Johnboy« nannten, war ohne Vater in Christchurch aufgewachsen. Er war gerade mal dreiundzwanzig und bereit, sich allem zu stellen, alles zu wagen, nur um dem immergleichen Leben und seiner bitteren Armut zu entkommen. Kaum hörte er, dass Männer über die Berge zum Gold an der Westküste zogen, beschloss Johnboy, ebenfalls sein Glück zu versuchen. Er gab seiner geliebten Mutter einen Klaps auf denHintern und versprach, ihr »ein Paar goldene Schuhe« mitzubringen. Marie Shannon schlang die Arme um die Hünengestalt ihres Sohns und sagte: »Nimm Flinty Fairford mit. Der kennt sich aus. In den Bergen brauchst du einen harten Kerl an deiner Seite.«
    Gemeinsam mit ein paar anderen hatten Flinty und Johnboy ihre sechseinhalb Pennies bezahlt, hatten eine Nacht in Charlie Wildes Hütte geschlafen und Tauben an seinem glühend heißen Feuer gegessen. Beide hatten eiserne Mägen, schliefen wie Lämmer und mussten keinmal hinaus in das stinkende Manuka-Gestrüpp, und als sie den Gebirgssattel erklommen hatten und an der Stelle hinunterblickten, wo das Unterholz aufhörte und wo Harriet kehrtgemacht hatte, stieß keiner der beiden einen Fluch aus, und keiner sagte ein Wort. Denn sie wunderten sich nicht über den Anblick der

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