Die Farbe der Träume
vermisste. Nicht nur den Duft von Pare und das Gefühl ihrer Stirn an seiner Stirn, wenn sie ihre hongi -Begrüßung machten, sondern auch ihre Geschichten, die von einem anderen Ort kamen und die ihn manchmal erschauern ließen – nicht aus Furcht und nicht aus Freude, sondern aus einem Gefühl irgendwo dazwischen.
Auch wenn Edwin sich inzwischen immer sicherer war, dass Pares augenblickliches Leben auf dem Felsvorsprung mit jener anderen Welt in Verbindung stand, von der sie geredet hatte, wusste er ebenso gut, dass sie noch in der normalen Welt existierte, weil sie ihn mit ihrer normalen Stimme rief. Sie sprach Englisch. Sie sprach seinen Namen wie »E’win« aus. Sie erzählte ihm vom Wasserfall.
Manchmal wünschte Edwin, Pare würde schweigen. Er fühlte sich so krank und müde. Er wünschte, alles wäre still und geborgen und normal, so wie früher. Aber die Tage und Nächte vergingen, und der Wurm labte sich an all den so einfallsreich gezauberten Puddings, und die Rufe von Pare hörten nicht auf.
Auf Harriets Bitte zeigte Edwin ihr das neue Eishaus, das aus Ziegeln erbaut und tief in die Erde versenkt worden war.
Edwin sagte: »Ein paar Männer werden Eis aus einem Gletscher schneiden und es auf Pferdewagen hierherbringen. Papa meint, dass dies einer der kältesten Orte in Neuseeland sein wird. Aber das stimmt nicht. Ich weiß, wo der kälteste Ort in Neuseeland ist.«
»Und wo ist der kälteste Ort, Edwin?«
Darauf gab Edwin keine Antwort. Das Eishaus roch nach Farnwurzeln und feuchtem Mörtel. Als ein Sonnenstrahl hineinfiel, sagte Edwin: »Da, wo die Sonne jetzt hintrifft, kommt eine Tür hin, und dann wird alles für immer versiegelt und dunkel und kalt sein.«
»Das ist ingeniös«, sagte Harriet.
»Was bedeutet ›ingeniös‹?«
»Klug. Das Eishaus ist eine sehr kluge Idee.«
Edwin lief im Eishaus im Kreis herum und ließ die Hand an den Wänden entlanggleiten. Harriet bemerkte seine wachsende Unruhe, als hätte er Angst davor, still zu stehen oder irgendwo ruhig zu sitzen.
Sie selbst fing jetzt auch an zu zittern. Sie wollte wieder zurück, hinauf ins Licht, trotzdem blieb sie und beobachtete Edwin. Nach einer Weile sagte sie: »Es tut mir leid, Edwin, dass ich Pare nicht finden konnte. Vielleicht war sie ja da unten in dem Tal … in das ich mich nicht hineingewagt habe.«
Er antwortete nicht. Dann sagte er: »Hier kommt das Eis hin. An den ganzen Wänden entlang. Eis vom Gletscher.«
Harriet nickte und fragte dann: »Glaubst du, dass sie noch in Gefahr ist?«
Edwin blieb stehen. Er hielt sich an der Wand fest. »Ich muss wieder brechen«, sagte er. »Sie gucken lieber nicht hin. Manchmal sieht mein Erbrochenes lila aus.«
Harriet ging zu ihm und hielt seine Schultern, während er sich auf den Boden vom Eishaus übergab. Dann zog sie ihr Taschentuch heraus und wischte ihm sanft das Gesicht ab. In dem unterirdischen Raum sah er weiß wie eine Lilie aus.
Sie führte ihn nach draußen, spürte, wie er zitterte, und wusste, dass auch er froh über das bisschen wärmende Sonne war. Sie setzten sich einen Moment auf einen Bretterstapel, der dort lag, wo der Zugang zum Eishaus hinkommen sollte.
»Hat Mama Ihnen von meinem Wurm erzählt?«, fragte er.
»Ja.«
»Mit dieser Medizin kommt er nie raus.«
»Nie?«
»Mama glaubt, er kommt durch meinen Po raus, aber das tut er nicht, weil er nicht nach unten geht. Er bleibt immer an derselben Stelle.«
»Wo? Wo ist diese Stelle?«
Edwin presste die Hand auf seinen Leib, direkt über dem Hüftknochen. »Hier.«
»Aber die Medizin macht, dass er sich bewegt«, sagte Harriet, »und dann kommt er raus.«
»Nein«, sagte Edwin. »Das tut er nicht.«
Vom Haus wehte jetzt einiger Lärm herüber: Die Hunde bellten, und Janet pfiff laut und falsch vor sich hin, während sie die Wäsche aufhängte. Die Geräusche schienen Edwin anzuziehen, denn er lief los, ohne sich noch nach Harriet umzusehen.
Bevor er sie nicht mehr würde hören können, rief sie: »Ich gehe zu den Goldfeldern, Edwin. Übers Meer. Erst in den Norden, nach Nelson, dann die Westküste runter nach Hokitika. Ich könnte die Leute fragen … Falls Pare noch in den Bergen ist, könnte ich von dieser Seite aus in die Schlucht gehen. Ich könnte versuchen, sie zu finden …«
Sie sah, wie Edwin stehen blieb. Er drehte sich zu ihr um und sagte: »Vielleicht ist sie unsichtbar. So wie früher im Toi-Toi-Gras. Dann hätten Sie Ihre Zeit vergeudet.«
II
Charlie Wilde machte gute
Weitere Kostenlose Bücher