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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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und alles im Staub zersprang. Er kroch in sein Bett, das zerknüllte Goldpäckchen immer noch in der Tasche. Er schaffte es nicht, sich auszuziehen. Lilian brachte ihm eine Schale und einen Lappen und setzte sich eine Weile zu ihm. »Das Problem bei diesem Siedlerleben«, verkündete sie, »ist, dass es einem keine Gebrechlichkeit erlaubt.«
    Joseph hatte wüste Träume. Er sah Straußen, die wie Tingeltangelmädchen tanzten und dabei ihre Unterröcke aus Federn hervorblitzen ließen. Er sah seinen Vater, der den Zylinderhut trug und die Straußenmädchen mit einem geschnitzten Stock schlug. Eine nach der anderen fiel um. Im Traum wusste er, dass sein Vater ihm den Goldstaub gestohlen und in seiner Taschenuhr versteckt hatte, wo das Gold den gut geölten Mechanismus störte, so dass die Uhr stehenblieb.
    Als Harriet Joseph nach ihrer Rückkehr weckte, war er in Hemd und Hose und trug auch noch seine feuchte, schmutzige Jacke. Das Bett war von der Jacke und von seinem Fieberschweiß völlig durchnässt. So freundlich, wie es ihr möglichwar, half Harriet ihm beim Auskleiden und bezog das Bett neu.
    Sie hängte seine Jacke, in der das Gold versteckt war, über einen Stuhl, und Joseph war zu schwach, um sie unter einem Vorwand zu bitten, die Jacke in Reichweite zu legen, weil er das Gold in greifbarer Nähe haben wollte, bis ihm ein geeignetes Versteck einfiel. Er lag nur da, kämpfte gegen das Einschlafen und beobachtete den Stuhl, bis ihn seine Träume einholten.
    Als Joseph nachts unter großen Schmerzen in die Flasche pinkelte, sah er die Jacke immer noch über dem Stuhl, aber direkt daneben, so dicht, dass Harriet nur die Hand hätte ausstrecken und in die Taschen greifen müssen, lag ihr provisorisches Bett auf dem Boden.
    »Gib mir meine Jacke, Harriet«, sagte er, als sie mit der geleerten Flasche zurückkam.
    »Du brauchst deine Jacke doch nicht, Lieber«, sagte sie freundlich.
    »Ich möchte mich zudecken.«
    »Ich kann eine andere Decke holen …«
    »Reich mir die Jacke!«
    Sie ließ sich auf keinen Streit ein, sondern brachte ihm die Jacke und legte sie oben auf das Federbett, und sofort roch er wieder die Welt da draußen, das Moos und die Erde, als wäre die Jacke daraus gemacht, und er zog sie sich dicht vors Gesicht und ließ sie da liegen.
    Als er, noch vor Harriet, in der Morgenkühle erwachte, spürte er, dass sein Fieber ein wenig nachgelassen hatte. Er versuchte, sich zu bewegen, konnte aber nur zitternd daliegen, ängstlich besorgt um seine schmerzende Blase, ängstlich besorgt um das Gold, das rechtmäßig seins war, aber trotzdem versteckt werden musste. Er streckte die Hand aus, fand die Jackentasche mit dem Taschentuch, packte das kleine Bündel, drückte es an sein Gesicht, presste es in der Faust zu einem festen Ball und schob den Ball unter seine Bettdecke ins Warme.
    Am liebsten hätte er geweint vor Angst und Enttäuschung. Wenn er doch nur die Kraft hätte, aus dem Bett zu steigen und, ohne Harriet zu wecken, auf Zehenspitzen aus dem Zimmer zu schleichen! Das perfekte Versteck würde sich dann schon ergeben. Sogar in einem Haus wie diesem müsste es doch einen Ort – irgendeinen raffinierten Ort – geben, den niemand aufsuchte …
    Er döste wieder ein, und als er aufwachte, saß Lilian an seinem Bett.
    »Was hast du gestern bloß gemacht«, fragte sie, »dass du dabei so krank geworden bist?«
    Er dachte darüber nach. Es geschehen Dinge, hätte er gern gesagt; das weißt du doch am besten. Wir haben nicht immer alles in der Hand.
    »Ich habe mich zu lange beim Teich aufgehalten«, sagte er. »Und nicht gemerkt, wie kalt es inzwischen geworden war.«
    Lilian betrachtete Joseph, ihr einziges Kind. In seinen Bart mischten sich ein paar neue graue Fäden. An seinem Hals sah sie erste Falten. Während er sich da draußen sein Fieber holte, hatte sie den Brief an Mrs Dinsdale geschrieben und ihn unter ihrer Matratze versteckt. Es drängte sie, ihn loszuschicken, doch sie wusste, wenn sie ihn jetzt, wo Joseph krank war, auf den Weg brächte, wäre das Verrat an ihrem Sohn.
    »Es ist einfach alles zu viel für dich«, erklärte sie, seufzte und blickte sich in dem kahlen kleinen Raum um. »In England war alles in erreichbarer Nähe. Für diese grässlichen Entfernungen sind wir nicht gemacht.«
    Joseph brachte ein Lächeln zustande. »Dass der erste Winter hart sein würde, wussten wir«, sagte er. »Im Frühling und im Sommer werden wir erste Fortschritte sehen.«
    Lilian putzte sich die

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