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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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an ihren Vater und wartete ungeduldig auf den Tag, an dem sie in Christchurch aufgegeben werden konnten. Die unabgeschickten Briefe stapelten sich, Umschlag auf Umschlag. Herrn Henry Salt, Red House, Swaithey, Norfolk, England.
    In den Nächten hörte Lilian jetzt nicht mehr, wie ihr Sohn mit Harriet schlief. In ihrem Kattunzimmer schienen sie kaum noch miteinander zu sprechen oder zu flüstern, sich nicht einmal zu bewegen. Sie lagen in den langen, dunklen Nächten nur still und stumm nebeneinander, und am Morgen ging jeder wieder seiner Wege. Ihre Hochzeit lag noch kein Jahr zurück. Und zu ihrer eigenen Überraschung war Lilian bekümmert über diese Entfremdung. Die rachsüchtige Seite in ihr hatte sich gewünscht, dass die Farm scheitert – als Bestrafung dafür, dassJoseph sie zu einem Leben gezwungen hatte, für das sie nicht geeignet war –, doch nun, da es tatsächlich nach einem Scheitern aussah, bedauerte sie dies.
    Auch wenn die Monotonie der Tage Lilian zunehmend erschöpfte, gab sie sich große Mühe, nicht mehr so häufig in ihr Zimmer zu verschwinden, und sie versuchte, nicht nachzugeben, wenn der Schlaf sie in ihrem Sessel zu übermannen drohte. Da sie zu der Ansicht gekommen war, dass die Situation nun einmal Wachsamkeit und größere Bereitschaft von ihr verlange, erklärte sie Joseph, sie werde auch »bei dem Schwein mitmachen«, einer fetten, trächtigen Sau, die er von einem Farmer bei Rangiora gekauft hatte und die jetzt so schwer an den Ferkeln trug, dass ihre Beine sich unter ihr bogen und die Zitzen über den Boden schleiften.
    Das Schwein musste mit Karottenschalen, altem Brot, matschig gewordenen Kūmara und den ausgekratzten Resten aus dem Suppentopf gefüttert werden. Und der bescheidene Stall musste von Zeit zu Zeit gesäubert werden, eine Aufgabe, die Lilian nicht besonders zusagte. Denn was die Sau von den kärglichen Rationen, die sie bekam, nicht verwerten konnte, spritzte sie geradezu boshaft aus ihrem After, fast als schösse sie auf ein hinter ihr lauerndes Ziel. Lilian fand diese Grobheit ziemlich schockierend. Irgendwie erinnerte sie das an das schreckliche Verhalten von Straußen. Am liebsten hätte sie das Schwein ignoriert, aber sie wusste, dass sie es nicht sterben lassen durften, und so stellte sie, wenn sie an der Reihe war, die Töpfe mit dem Fressen in die eine Ecke und schaufelte den Mist in der anderen weg.
    Lilian war es dann auch, die an einem feuchten frühen Morgen dazukam, als die Sau gerade warf. Drei Ferkel waren schon geboren, die Sau lag da, die Schnauze auf dem Boden und keuchte, ihre Vagina war verschmiert mit Blut, und ihr Atem hing wie eine blaue Wolke in der feuchten grauen Luft. Liliansah gebannt zu. In ihrem vergangenen Leben als Ehefrau eines Viehauktionators waren Tiergeburten für sie rein rechnerische Daten gewesen, doch jetzt, als sie hier mit dem Schwein alleine war, während es draußen langsam hell wurde, konnte sie sein Leiden fühlen und spüren, dass das Tier da gerade etwas sehr Seltsames durchmachte, etwas, das es bislang noch nicht erlebt hatte.
    Anstatt zurück ins Lehmhaus zu gehen und Joseph zu holen, setzte sie sich neben die Sau auf einen trockenen Tussockgrasbüschel und zog ihre Schürze aus. Damit nahm sie dann die neugeborenen Ferkel eines nach dem anderen hoch, wischte ihnen das Blut und die weiße Flüssigkeit von ihren Schnäuzchen und legte sie anschließend so vor die Muttersau hin, dass sie die Kleinen sauberlecken konnte. Lilian hatte im Stillen das Wort »wachsam« benutzt. Und jetzt, dachte sie, als sie den glitschigen Körper eines vierten Ferkels aufs Stroh rutschen sah, jetzt werde ich hier Wache halten, bis alle geboren sind.
    Der Himmel wurde allmählich hell. Lilian merkte, wie ein leichter Sprühregen ihr Haar durchnässte, und sie wünschte, sie hätte ihre Haube aufgesetzt, bevor sie das Haus verlassen hatte.
III
    Kaum hatte Joseph sich von seinem Fieber erholt, kehrte er an die Uferstelle zurück, wo er das Gold gefunden hatte.
    Nach der Schneeschmelze führte der Bach viel Wasser. Joseph sah sich jetzt in einen Kampf mit ihm verwickelt, so wie damals in den Kampf mit dem Mädchen Rebecca. Der Bach konnte ihm den Ort offenbaren, den er unbedingt finden wollte, oder er konnte ihn ihm vorenthalten, ihn verbergen. Das Wasser konnte ihm Glück schenken oder ihn vernichten.
    Er begann, einen Graben zwischen dem Bach und dem halb fertigen Teich auszuheben. Auf diese Weise konnte er einerseits dem Lauf des Wassers

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